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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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das kurze Tête-à-tête ein Ende. Pari empfand ihre Maman kurz als Störenfried, hatte im nächsten Moment aber Schuldgefühle deswegen.
    Eine gute Woche später sah sie Julien wieder. Sie wollte ihrer Maman morgens einen Kaffee ins Schlafzimmer bringen, und dort sah sie Julien auf der Bettkante sitzen, der gerade seine Armbanduhr aufzog. Sie sah ihn vom Flur aus, durch den Türspalt. Sie blieb wie angewurzelt stehen, die Kaffeeschale in der Hand. Ihr Mund fühlte sich an, als hätte sie gerade an einem trockenen Lehmklumpen gelutscht. Sie betrachtete ihn, die makellose Haut seines Rückens, den kleinen Bauchansatz, die dunkle Stelle zwischen seinen teils vom zerknitterten Bettzeug bedeckten Beinen. Er schloss die Uhr um das Handgelenk, nahm eine Zigarette vom Nachttisch und zündete sie an, drehte sich gelassen zu ihr um und schenkte ihr ein schmallippiges Lächeln. Im nächsten Moment wirbelte Pari herum, weil ihre Mutter, die gerade duschte, ihr etwas zurief. Ein Wunder, dass sie sich nicht mit dem heißen Kaffee verbrühte.
    Julien und ihre Maman waren ungefähr sechs Monate ein Paar. Sie gingen viel ins Kino und in Museen und besuchten kleine Galerien, die Arbeiten unbekannter, um Anerkennung ringender Künstler mit exotischen Namen ausstellten. Sie unternahmen einen Wochenendausflug nach Arcachon bei Bordeaux und kehrten braungebrannt und mit einer Kiste Rotwein zurück. Julien lud ihre Maman zu Universitätsveranstaltungen ein, und sie revanchierte sich mit Einladungen zu Autorenlesungen in ihrer Buchhandlung. Pari begleitete die beiden anfangs – sie war, was ihrer Maman zu gefallen schien, von Julien darum gebeten worden –, blieb aber bald mit irgendeiner Ausrede zu Hause. Sie wollte und konnte nicht mitkommen. Sie fand es unerträglich. Sie gab vor, zu müde zu sein oder sich unwohl zu fühlen, sagte, sie wolle bei Colette für die Schule lernen. Colette, ihre Freundin seit der zweiten Klasse, war ein drahtiges, zerbrechlich wirkendes Mädchen mit langen, glatten Haaren und einer Nase wie ein Krähenschnabel. Sie stieß die Leute gern mit skandalösem, unanständigem Gerede vor den Kopf.
    »Ich wette, er ist enttäuscht«, sagte Colette. »Weil du nicht mit ihnen ausgehst.«
    »Mag sein. Aber das lässt er sich nicht anmerken.«
    »Na, wie auch! Glaubst du, deine Maman fände das toll?«
    »Was denn?«, fragte Pari, obwohl sie es natürlich wusste. Ja, sie wusste es, aber sie wollte es hören.
    »Was?« Colette klang aufgeregt und naseweis. »Na, dass er nur mit ihr zusammen ist, um an dich heranzukommen. Dass er im Grunde dich begehrt.«
    »Ist ja ekelhaft«, sagte Pari mit bebender Stimme.
    »Vielleicht begehrt er euch beide. Vielleicht steht er auf mehrere Frauen im Bett. Legst du ein gutes Wort für mich ein, falls das der Fall sein sollte?«
    »Du bist widerlich, Colette.«
    Wenn ihre Maman und Julien ausgegangen waren, zog sich Pari im Flur aus und betrachtete sich im hohen Spiegel. Sie empfand ihren Körper als mangelhaft. Sie hielt ihn für zu sehnig, zu groß, zu unförmig, zu … zweckmäßig. Sie hatte keine der verführerischen Rundungen ihrer Maman geerbt. Manchmal ging sie unbekleidet ins Schlafzimmer ihrer Mutter und legte sich auf das Bett, in dem diese mit Julien schlief. Dann lag Pari mit geschlossenen Augen und pochendem Herzen da, genoss es, unbeobachtet zu sein, und eine Art Summen breitete sich von ihrem Brustkorb über den Bauch und bis weiter nach unten aus.
    Natürlich ging es auseinander. Ihre Maman und Julien trennten sich. Pari war erleichtert, aber nicht überrascht. Denn es kam jedes Mal der Punkt, wenn ihre Maman den jeweiligen Mann für nicht mehr gut genug hielt, wenn dieser nicht mehr an ihr Idealbild heranreichte. Was mit Leidenschaft und Überschwang begann, endete stets mit hasserfüllten Worten und bösen Vorwürfen, mit Wutausbrüchen und Heulanfällen und herumfliegenden Küchenutensilien. Zusammenbruch. Großes Drama. Ihre Maman konnte keine Beziehung ruhig und gelassen beginnen oder beenden.
    Danach trat wie üblich eine Phase ein, in der ihre Maman plötzlich Gefallen am Alleinsein fand. Sie blieb tagsüber im Bett, einen alten Wintermantel über den Pyjama gezogen, war müde und zerknirscht und lächelte nicht mehr. Pari wusste, dass sie ihre Maman während solcher Phasen in Ruhe lassen musste. Wenn sie sie trösten oder ihr Gesellschaft leisten wollte, stieß das auf Ablehnung. Diese gedrückte Stimmung konnte wochenlang anhalten. Im Falle von Julien dauerte

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