Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
Vom Netzwerk:
bitte.“
    „Ein Frühstücksei?“
    „Ja, danke.“
    Der Junge eilte davon. Wenig später war er wieder zurück. In seinen Händen balancierte er ein Silbertablett, von dem er eine Kaffeekanne, ein Körbchen mit aufgeschnittenem Baguettebrot, eine kleine Schale Marmelade, angewärmte Milch, ein gekochtes Ei und ein Stück Butter auf einem Bananenblatt, vor ihr abstellte.
    „Arbeitest du jeden Tag im Hotel?“, fragte Abby, als er die Sachen auf dem Tisch anordnete.
    „Nein.“ Er sah nicht auf, sondern goss den kräftig duftenden Kaffee in eine zierliche Porzellantasse. „Mein Bruder ist auf dem Markt. Es ist nicht viel zu tun.“
    „Müsst ihr nicht in die Schule?“
    Seine Augen leuchteten bei dem Wort ‚Schule’ kurz auf, dann nahmen sie wieder einen gleichgültigen Ausdruck an.
    „Nein. Ist mit dem Frühstück alles in Ordnung?“
    Abby betrachtete ihn neugierig. Der Junge hatte nicht erklärt, warum er nicht zur Schule ging, aber sie beschloss nicht nachzuhaken.
    „Ja, danke“, sagte sie stattdessen.
    „Dann wünsche ich einen guten Appetit.“
     
     
    Abby hatte das Frühstück beendet, als der Junge wieder auftauchte. In seinen Händen hielt er einen üppigen Blumenstrauß, den er wie den heiligen Gral vorsichtig vor sich hertrug.
    „Für mich?“, fragte Abby, als er damit vor ihr stehen blieb.
    „Ja, Mademoiselle.“ Auf dem schmalen Gesicht lag ein Grinsen, während er ihr den Strauß reichte. Es war ein Gebinde der schönsten Blumen, die Abby je gesehen hatte. Orangefarbene, gelbe und lila Blüten in allen möglichen Formen waren kunstvoll arrangiert worden. Die meisten der Blumen kannte Abby nicht einmal. Der Strauß strömte einen intensiven Duft aus.
    „Es ist eine Karte daran befestigt“, erklärte der Junge. Sein Grinsen war noch breiter geworden und hatte inzwischen die Ohren erreicht.
    „Wie heißt du eigentlich?“
    „Louis.“
    „Danke, Louis.“
    Er warf den Kopf in einer überraschten Geste nach oben, als er erkannte, dass Abby allein zu sein wünschte, bevor sie die Karte las. Wahrscheinlich hatte er darauf gehofft, ihr über die Schulter spähen zu können. Langsam ging er zur Saaltür hinaus, als wolle er Abby die Gelegenheit geben, ihn doch noch zurückzurufen. Die Tür klapperte ins Schloss
    Abby zog einen Stuhl heran. Sie legte den Strauß ab, zupfte die angeheftete Karte vom dünnen Papier und klappte sie auf.
     
    „Ich hoffe, Sie haben den Abend ebenso wie ich genossen. Darf ich Sie wiedersehen?“
     
    Patrick Ferre
     
    Ihr Herz machte einen Freudensprung. Ohne es zu bemerken, lächelte sie. Sie würde ihn wiedersehen. All ihre Sorgen waren wie weggeblasen. Auch Patrick Ferre hatte der Abend etwas bedeutet und er wollte sich erneut mit ihr treffen. Abby wandte den Kopf zu den hohen Fenstern. Draußen schien die Sonne, nicht anders als vor zwei Minuten, aber nun schien ihr Strahlen heller geworden zu sein. Und der Straßenlärm hatte sich in den Pulsschlag einer aufregenden Stadt verwandelt, den sie auf ihrer Haut spüren konnte.
    Sie würde ihn wiedersehen!
     
     
    Diesmal war der Taxifahrer ein junger Mann. Er hieß Pierre und war Anfang zwanzig. Seine Zähne waren bedeutend besser als die des Fahrers, der sie vom Flugplatz zum Hotel gebracht hatte. Allerdings hatte er dieselbe lüsterne Art auf ihre Beine zu starren. Abby bereute, einen Rock angezogen zu haben. Normalerweise reichte ihr der Stoff bis knapp über die Knie, aber im Sitzen war es fast unmöglich, ihn soweit hinunterzuziehen, dass er nicht ihre Oberschenkel entblößte.
    „Sind Sie zum ersten Mal in Port-au-Prince?“, fragte er in makellosem Englisch. Er schaffte es, den Verkehr im Blick zu behalten und sie trotzdem aus dem Augenwinkel anzuglotzen.
    „Ja, ich bin gestern angekommen.“
    „Gefällt es Ihnen?“
    „Manches, ja. Manches, nein.“
    „Ich weiß, was Sie meinen.“
    Er deutete mit der Hand nach draußen. Soweit das Auge reichte, türmte sich der Müll entlang der Straße zu einer Wand auf. Abgemagerte Schweine suhlten sich in den Bächen aus Kloake. Frauen wuschen sich in den Pfützen, während ihre Kinder sich mit dem ölig schimmernden Wasser bespritzten. Grüner Rauch drang aus den Müllbergen und stieg träge zum leuchtend blauen Himmel auf. Der Gestank war atemraubend.
    Pierre musste immer wieder Kratern auf der Straße ausweichen, die so tief waren, das man glauben konnte, auf Port-au-Prince wäre vor kurzem ein Bombenhagel herabgeregnet.
    Abby starrte verblüfft auf die

Weitere Kostenlose Bücher