Traumschlange (German Edition)
schwebte.
Ein Lied folgte dem nächsten und Abby schien für diese Musik, für diesen Tanz geboren. Sie stolperte nur noch zweimal, doch das war die Schuld anderer Tanzpaare, die mit ihnen zusammenstießen, ansonsten bildeten ihre beiden Körper eine perfekte Einheit und verschmolzen miteinander zu einem neuen Wesen.
Die Zeit verging in einem Taumel aus leidenschaftlicher Musik, dem Gefühl, Patricks Körper so eng an sich zu spüren und seinen heiseren Worten, wenn er ihr ein Kompliment machte. Schließlich ließen sie sich erhitzt in Korbstühle sinken und tranken Rum mit Limettensaft.
„Mein Gott, ist mir heiß“, stöhnte Abby lachend und fächelte sich mit Hand Luft zu.
„Sie tanzen wunderbar.“
„Wahrscheinlich werden Sie ihre Wunden erst morgen entdecken.“
Sein jungenhaftes Grinsen tauchte wieder auf. „Sind Sie bereit?“
„Nicht schon wieder Tanzen. Ich kann nicht mehr.“
„Nein, keine Sorge, für heute ist es genug. Aber ich möchte Sie noch an einen anderen Ort entführen.“
„Ist es nicht schon spät?“, meinte Abby.
„Für junge Menschen wie uns, in einer derartigen Nacht, ist es niemals spät.“ Er streckte seine Hand nach ihr aus und zog sie aus dem Sessel.
„Wohin wollen Sie diesmal?“, fragte Abby.
Patrick legte seinen Zeigefinger über seine Lippen.
„In eine andere Welt“, flüsterte er geheimnisvoll.
10. Der Tempel
Abby konnte später nicht mehr sagen, wie lange sie durch die Nacht gefahren waren, aber es schien eine Ewigkeit zu dauern. Die Landschaft, eine Komposition aus grauen Schatten, flog an dem Mercedes vorbei, so als befänden sie sich nicht mehr auf dieser Welt, sondern rasten durch das nachtschwarze All.
Als Patrick den Wagen endlich an den Straßenrand lenkte, fühlte Abby sich müde und erschöpft. Nur mühsam quälte sie sich aus dem Sitz und folgte Patrick, der zu einem schmiedeeisernen Tor ging und an einem altmodischen Klingelzug zog.
„Wo sind wir hier?“, fragte Abby, die kaum noch die Augen offen halten konnte.
„Das ist ein Hounfour, ein Voodootempel mit dem Heiligtum und dem Schrein.“
Mehr erklärte er nicht und Abby fragte auch nicht nach. Ein Mann erschien aus der Dunkelheit. Gespenstisch leise schritt er heran und öffnete das Tor, das mit einem Ächzen aufschwang. Der Mann war um die fünfzig Jahre alt, mit einem spärlichen Kinnbart. Gebückt huschte er vor ihnen den Weg entlang. Abby begann zu frösteln, aber es war nicht die nächtliche Kühle, die sie zittern ließ. Sie spürte das Unbekannte und es machte ihr Angst.
„Müssen wir...“, wollte sie Patrick fragen, aber der nahm ihre Hand und zog sie mit sich.
Der Alte führte sie in einen überdachten Hof. Ein halbes Dutzend Menschen, Schwarze, Weiße und Mischlinge saßen auf dem festgestampften Lehmboden und wiegten mit geschlossenen Augen den Oberkörper, obwohl keine Musik zu hören war. Patrick setzte sich mit untergeschlagen Beinen nieder und bedeutete ihr, es ihm gleichzutun.
Ein Mädchen in weißem Gewand tauchte aus der Dunkelheit auf und betrat das Peristyl.
„Das ist eine hounsis , eine Tempeldienerin“, erklärte Patrick leise.
Das Mädchen führte eine Drehung nach zwei Richtungen aus, stellte eine Kerze auf den Boden und entzündete sie. Das Licht der kleinen Flamme zuckte über die Gesichter der Anwesenden, ließ sie geisterhaft aussehen. Abbys Aufmerksamkeit wurde auf eine korpulente Frau gelenkt, die alle Bewegungen des Mädchens mit einem Tonkrug nachahmte.
„Die mambo , die Voodoo-Priesterin“, hauchte Patrick neben ihr. Seine Augen glänzten im Schein der Kerze und Abby bemerkte, wie er gebannt das Ritual verfolgte. Inzwischen hatte die Priesterin einen weiteren Tonkrug in die Hand genommen, aus dem sie mit Maismehl ein geheimnisvolles Muster auf den Boden zeichnete. Abby wusste nicht, dass dies vévé , das Symbol eines loas oder Geistes war, der dadurch angerufen wurde.
Anschließend nahm die mambo ein Gefäß mit Wasser und drehte sich in die vier Himmelsrichtungen. Schließlich goss sie das Wasser an den mittleren Pfeiler des Peristyls. Hier sollten die angerufenen Geister erscheinen. Als sie damit fertig war, schüttete sie das restliche Wasser über die drei Trommeln, die auf dem Boden standen und ein wenig davon auf den Lehm des Einganges zu Peristyl.
Nun erschien der houngan , der Voodoopriester. Abby hatte ihn nicht kommen sehen. Urplötzlich stand er da. Seine Präsenz war überwältigend. Ein hagerer, hochgewachsener
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