Traumschlange (German Edition)
gleißendes Licht tauchte, während die Zuschauer im Schatten verschwanden. Ein dicker Mann mit beginnender Glatze, aus dessen Hose ein schwabbeliger Bauch quoll, betrat den Kreis und hob beide Hände. Sofort erstarb das allgegenwärtige Gemurmel. Mit lauter Stimme sprach er in die Runde, ohne dass Abby auch nur ein Wort verstand.
„Was sagt er?“, fragte Abby. „Um was geht es hier?“
Patricks Augen blitzten in der Dunkelheit auf, als er sich ihr zuwandte.
„Dies ist eine ‚Gallera’ und das ist der Veranstalter und gleichzeitig der Wettrichter. Er stellt die Kontrahenten des ersten Kampfes vor.“
Abby wollte weiterfragen, wollte wissen, wer denn da kämpfen werde, als zwei weitere Männer die Arena betraten. Jeder von ihnen hielt einen Hahn fest in den Händen, den er ehrfurchtsvoll, wie ein Ministrant die brennende Kerze in der Kirche, dem Publikum entgegenstreckte. Während die Männer einmal die Arena umrundeten, erklärte Patrick Abby, was sie nun erwartete.
„Der Fettsack, der die Ansprache gehalten hat, wird gleich die Wetteinsätze annehmen. Die Ausbilder der Hähne werden ‚Galleros’ genannt. Man sagt, dass man für diesen Beruf geboren sein muss und ihn nicht erlernen kann. Auch die beiden Galleros verkünden ihre Pflichteinsätze, denn umsonst gibt es hier gar nichts.“
Patrick deutete auf einen Gallero, der nun direkt vor ihnen anhielt, um ihr und Patrick seinen Hahn zu präsentieren.
„Der kreolische Hahn heißt ‚El criollo’“, erläuterte Patrick. „Er wird bis zu vier Pfund schwer. Man klassifiziert ihn nach Herkunft und Farbe. Am vornehmsten gilt der braune „indio“. Danach kommt in der Reihenfolge der gelblich gefiederte ‚talisayo’ und der zweifarbige ‚canelo’. Den weißen ‚jabado’ schätzt man am wenigsten, obwohl mitunter besonders wilde Hähne darunter sind.“
„Ist das nicht Tierquälerei, sie gegeneinander kämpfen zu lassen?“, fragte Abby vorsichtig.
„In europäischen Augen mag es so erscheinen, aber es ist nicht ganz so schlimm, wie es aussieht. Wenn sich ein Sieger abzeichnet, wird der Kampf durch den ‚juez de valla’ gestoppt, und selbst starke Blutungen hören bei einem Hahn sofort auf, wenn man seine Füße in kaltes Wasser stellt. Für den Besitzer, den ‚aficionado’, stellt so ein Hahn den wertvollsten Besitz dar, den er hegt und pflegt und dem er mehr Liebe und Aufmerksamkeit entgegenbringt als Frau und Kindern. So ein Hahn wird mit einer strengen Diät aus Getreidekörnern und Insektenlarven großgezogen. Wer es sich leisten kann, gibt dem Tier einmal pro Woche rohes Fleisch, Tomaten und Bananen. Nahrungsmittel, auf die der Besitzer selbst verzichtet. Die Hähne werden gebadet, mit Alkohol und Öl eingerieben, um die Muskeln zu kräftigen.“ Patrick blickte nun ernst. „Bitte denken Sie bei dem nun folgenden Spektakel auch daran, was ihr Europäer mit euren Hühnern macht. Ihr haltet sie in engen Käfigen, die nicht größer als ein Blatt Schreibmaschinenpapier sind und fragt nicht danach, woher das billige Geflügel und die Eier zu Spottpreisen kommen. Dagegen lebt so ein ‚El criollo’ wie ein Fürst.“
Abby wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Der Wettrichter rief die beiden Männer mit ihren Hähnen zu sich in die Mitte der Arena und Patrick sagte ihr, dass nun versucht würde herauszufinden, ob sich die Tiere auch genügend hassen. „Verheiraten“ nenne man dies. Die Männer bewegten ihre Tiere aufeinander zu, ohne sie loszulassen und zogen sie sofort zurück, wenn einer der Hähne Anstalten machte, nach dem anderen zu hacken. Abby sah, dass die Tiere immer wilder wurden und es kaum noch erwarten konnten, übereinander herzufallen. Der Wettrichter rief immer wieder in die Menge der Zuschauer und notierte Zurufe und Handzeichen auf Wettzetteln. Die Atmosphäre füllte sich mit der erwartungsvollen Erregung der Zuschauer. Ein Prickeln lag in der Luft, das schließlich auch Abby erfasste. Sie spürte, wie ihr Blut schneller durch die Adern floss und sich Herzschlag beschleunigte.
„Jetzt werden die Wetten abgeschlossen“, sagte Patrick, den das Fieber nun auch gepackt hatte. „Eine Wette ist absolut bindend, auch wenn sie nur mündlich erfolgt. Es ist ungefähr so, wie an den großen Börsen, an denen sich Käufer und Verkäufer Angebote zurufen. Wenn alle Wetten notiert sind, geht es los.“
Schließlich war es soweit. Das Geschrei erstarb und machte einer atemlosen Stille Platz. Den Hähnen wurden nun,
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