Traumschlange (German Edition)
hielt sie aber nicht davon ab, ihnen das Leben zur Hölle zu machen.
Da ihnen der gekreuzigte weiße Heiland, so oft sie ihn auch anriefen, nicht zur Seite stand, erinnerten sich die Sklaven an ihre alten Religionen. Legba, Damballah und Ogu würde ihnen helfen, so wie sie schon ihren Vorfahren geholfen hatten. Immer mehr Schwarze fanden zurück zu ihren alten Traditionen. Versammlungen, die man Calenda nannte, wurden abgehalten. Es blieb nicht nur bei religiösen Ritualen. Immer mehr Schwarze flohen in die Berge Haitis. Diese Entflohenen wurden von den Franzosen Marron genannt, ein Wort, das sich vom spanischen Cimarron ableitet und soviel, wie ‚gezähmtes Tier, das sich in eine wilde Bestie verwandelt hat’ bedeutet.
Die Marron erhielten immer mehr Zulauf von entflohenen Sklaven. Im Jahr 1791, zwei Jahre nach Ausbruch der französischen Revolution, erhoben sie sich gegen ihre weißen Herren. Der Aufstand dauerte zwölf lange Jahre. Schlecht ausgerüstet und nur spärlich bewaffnet, kämpften sie zunächst gegen die restlichen Truppen der französischen Monarchie, danach gegen eine ausgesandte Streitmacht der Republikaner und zuletzt gegen britische Invasoren, die versuchten sich das Chaos zunutze zu machen und die reiche Karibikinsel an sich zu reißen. Auf dem Höhepunkt der Kämpfe sandte Napoleon 34000 Mann nach Haiti, kampferprobte Soldaten, die größte Expedition, die französische Häfen je verlassen hatte. Eigentlich waren diese Truppen dafür vorgesehen, das Gebiet des Mississippi in Amerika zu erobern, um eine weitere Ausdehnung der Vereinigten Staaten zu verhindern. Napoleon befahl auf dem Weg dahin, in Haiti Halt zu machen und die Sklaven niederzuwerfen. Seine Truppen sollten Louisiana nie zu sehen bekommen.
Der Kampf wurde mit äußerster Härte geführt. Ein Schwager Napoleons hatte das Kommando. Er starb bereits im ersten Jahr. Mit ihm viele seiner Männer. Der neue französische Anführer Rochambeau kündigte nach seiner Befehlsübernahme sofort die Ausrottung aller Aufständischen bis zum letzten Mann an.
Einfache Gefangene wurden verbrannt. Die Generäle der Rebellen, und die gab es tatsächlich, denn kein Aufstand kommt ohne Führung aus, wurden an Felsen gefesselt, um zu verhungern. Frauen und Kinder dieser Männer wurden vor ihren Augen ertränkt.“
„Das ist ja furchtbar“, stöhnte Abby.
„Ja“, gab Maddox zu. „Aber es wurde noch schlimmer. Aus Jamaika wurden 1500 abgerichtete Hunde importiert, die in öffentlichen Veranstaltungen schwarze Gefangene zerfleischten.“
Abby spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Das Gehörte überstieg ihr Vorstellungsvermögen, aber dennoch...
Maddox erzählte weiter. „Trotz tausendfachem Mord, Folter und gnadenloser Verfolgung siegten die aufständischen Truppen. Im Jahr 1803 räumten die Franzosen Haiti. Sie hatten insgesamt 70000 Soldaten verloren. Am 1. Januar 1804 wurde der unabhängige Staat Haiti ausgerufen. Ein Datum, das kein Einheimischer je vergessen wird.“
Maddox erhob sich und ging zur Spüle hinüber. Aus dem Hahn ließ er sich ein Glas Wasser einlaufen, das er in großen Zügen leerte.
„Wie ging es weiter?“, fragte Abby.
Maddox wandte sich ihr zu. „Nun, wie es überall auf der Welt nach Revolutionen zugeht. Gute und schlechte Herrscher lösten einander ab. Sie alle wurden reich, während das Land und seine Menschen immer mehr verarmten. Viele der Herrscher, die sich zu Königen oder Kaisern krönen ließen, war Anhänger der alten Religion. Sie waren Voodoopriester – bokor , schwarze Magier. Von all den Verrückten, Größenwahnsinnigen und Blutsäufern, die Haiti seit seiner Unabhängigkeit hatte erdulden müssen, war François Duvalier der Schlimmste. 1957 gelangte er mit Hilfe der Amerikaner an die Macht. Er war ein glühender Antikommunist, wahrscheinlich war dies der Grund für seine Unterstützung. Duvalier oder Papa Doc, wie er sich selbst nannte, verehrte Hitler, aber sein größtes Vorbild war ‚Baron Samedi’, der Herr der Friedhöfe. ‚Baron Samedi’ ist ein Voodoogeist des Todes, ein übernatürliches Wesen. Duvalier kleidete sich wie sein Vorbild in Schwarz und mit der Zeit glaubte er selbst, unsterblich zu sein. Er ließ überall eine neue Version des Vaterunsers anschlagen: „Unser Doc, der du bist im Nationalpalast, geheiligt werde dein Name...“
Maddox schwieg für einen Moment.
„Waren Sie damals schon in Haiti?“, wollte Abby wissen.
„Nein, ich traf erst in den siebziger Jahren in
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