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Traumschlange (German Edition)

Traumschlange (German Edition)

Titel: Traumschlange (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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Haiti ein. Meine Kirche hatte mich entsandt, um hier ein Waisenhaus zu errichten und zu leiten. Und Waisen gab es viele. Papa Doc und später sein Sohn Baby Doc, regierten mit Hilfe der tonton macoute . Der Name leitet sich aus einem Abzählvers ab, mit dem man Kindern mit dem ‚Schwarzen Mann’ droht. Die tontons folterten und töteten Zehntausende, während François Duvalier Voodoomessen im Nationalpalast abhielt. Sein Sohn war kaum besser, musste aber Mitte der achtziger Jahre nach Frankreich fliehen, wo er noch heute unbehelligt lebt.“
    Abby blickte Maddox direkt in die Augen. „Die tontons haben Jean Mitchards Eltern getötet, nicht wahr?“
    Maddox antwortete nicht auf die Frage, aber in seinem Blick erkannte Abby, dass sie Recht hatte.
    „Und trotzdem ist er nach Haiti zurückgekehrt“, meinte sie nachdenklich.
    „Seine Eltern starben für ein besseres Haiti. Er ist hier, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen.“
    Abby lachte bitter. „Ein Traum? Ich bin erst wenige Tage hier, aber was ich gesehen habe, erinnert mich mehr an einen Albtraum.“
    „Dem viele Haitianer zu entfliehen versuchen. Die meisten von ihnen ersaufen in seeuntüchtigen Booten, bei dem Versuch die USA zu erreichen. Diejenigen, die es tatsächlich schaffen, amerikanische Hoheitsgewässer zu erreichen, werden von der US-Küstenwache aufgegabelt und hierher zurückgeschickt.“ Der Priester schüttelte resigniert den Kopf. „Haiti verlässt niemand. Weder die Lebenden noch die Toten werden dieser Insel je entkommen.“
    „Warum sind Sie noch hier?“
    „Das Waisenhaus ist längst geschlossen. Die demokratische Regierung von Präsident Aristide ist pleite, wenn sie überhaupt jemals Geld hatte. Ich leite hier eine kleine Gemeinde. Anständige Menschen, die auf meine kirchliche Führung vertrauen. Nein, ich könnte sie nicht im Stich lassen. Ich habe diesen Beruf gewählt, um den Menschen Hoffnung zu bringen, nirgends auf der Welt ist die Hoffnung nötiger.“ Wieder schüttelte er den Kopf, aber diesmal wirkte es, als wolle er eine Last abwerfen. „Mein Platz ist genau hier.“
    Abby kam nicht mehr dazu, ihm weitere Fragen zu stellen, denn plötzlich stand Jean Mitchard am Kelleraufgang. Sie konnte ihm ansehen, dass er etwas entdeckt hatte und sein Gesichtsausdruck verriet ihr, es würde ihr nicht gefallen.
     
     
    „Lassen Sie uns nach Port-au-Prince zurückfahren“, sagte Jean.
    „Was haben Sie herausgefunden?“, verlangte Abby zu wissen.
    „Später. Ich erzähle es Ihnen auf der Rückfahrt.“
    „Nein“, sagte Abby bestimmt. „Sie sagen es mir jetzt.“
    Mitchards seufzen klang wie ein Stöhnen. Sein Blick wanderte von Abby zu Maddox und wieder zurück.
    „Ich kann rausgehen“, meinte der Priester.
    „Das ist nicht nötig“, sagte Jean. „Du kannst es ruhig hören.“
    „Also, ist das meine Schwester oder nicht?“, fragte Abby hart.
    „Nein, sie ist nicht.“
    Abby, die sich erhoben hatte, wankte zurück zum Stuhl und ließ sich schwer hineinfallen. Maddox schaute erschrocken Jean an, der seinen Blick ungerührt erwiderte.
    „Bei dem verbrannten Leichnam handelt es sich definitiv nicht um eine Weiße. Die Knochenfragmente, die ich untersucht habe, waren zwar zu klein, um etwas damit anzufangen, aber ich habe mehrere Haare gefunden, die nicht vollständig verbrannt waren.“ Er wandte sich an Abby. „Sie sagten, Ihre Schwester sei blond gewesen.“
    Abby nickte.
    „Nun, die Haare, die ich gefunden habe, waren schwarz.“
    „Linda könnte sich die Haare gefärbt haben“, warf Abby ein.
    „Nein.“ Mitchard schüttelte energisch den Kopf. „Die Haare entsprechen in Aufbau und Struktur afrikanischem Haar, das viel dicker ist und einen anderen Querschnitt hat als europäisches Haar. Die Haarspitzen waren grau. Nicht durch Entfärbung oder durch die Hitze beim Verbrennen der Leiche. Es waren die Haare eines alten Menschen. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem Toten um einen Mann. Ich habe ein einzelnes schwach gekräuseltes Haar entdeckt, von dem ich glaube, es könnte aus dem Bartwuchs eines Mannes stammen.“
    Abby war bleich geworden. Ihre Hände lagen auf der Tischplatte des Küchentisches. Jean konnte sehen, wie sie zitterten. Als er in Annys Gesicht blickte, bemerkte er, dass sie weinte. Er ging zu ihr hinüber, aber bevor er sie erreichte, erhob sie sich und verschwand durch die Tür nach draußen.
    „Lass sie gehen“, sagte Maddox zu Jean, der Anstalten machte, ihr zu folgen. „Sie muss

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