Traumschlange (German Edition)
Wahrheiten. Das Schweigen lastete schwer.
„Und trotzdem tun Sie alles, um Ihre tote Schwester zurück nach England zu bringen?“, fragte Mitchard schließlich.
„Ja. Linda war ein guter Mensch. Es war nicht ihre Schuld, dass ich nicht so wie sie sein konnte und sie beneidete. In meiner Jugend erkrankte ich an.... Linda hat mir ohne zu zögern eine ihrer Nieren gespendet. Ohne sie würde mein Leben heute ganz anders aussehen.“
Mitchard hörte die Entschlossenheit in Abby Stimme. „Sie wollen also Maddox’ Vorschlag folgen und die Totengräber befragen?“
„Ja, bevor ich abreise, möchte ich die Wahrheit kennen.“
„Haben Sie ein Foto von Ihrer Schwester?“
„Nein“, erwiderte Abby. „Aber ich weiß, wo wir vielleicht eines finden. Fahren Sie mich zur Britischen Botschaft.“
„Was erhoffen Sie sich dort?“
„Ich werde mich an den Botschafter wenden und ihm meine Lage schildern. Vielleicht kann er ja Druck auf die Behörden ausüben. Außerdem lagern dort die persönlichen Gegenstände meiner Schwester. Zumindest ihr Reisepass sollte sich unter den Sachen befinden, also haben wir auch ein Foto von ihr.“
„Gut, dann fahren wir zur Botschaft.“
14. Das Foto
„Der Botschafter befindet sich außer Landes“, wiederholte der Beamte zum dritten Mal. Er hatte sich als Richard Hurston vorgestellt. Ein mittelgroßer, schlanker Mann mit lichter werdendem Haar und perfekten, fast arroganten Manieren.
Es war eindeutig, dass er Abby nicht ernst nahm. Sie hatte ihm die Situation erklärt, hatte ihm die Geschehnisse, die auf den Tod ihrer Schwester gefolgt waren, in allen Details erläutert, aber Hurston machte keine Anstalten, in der Sache irgend etwas zu unternehmen.
„Sie müssen sich an die hiesigen Behörden wenden“, sagte er nun. „Die Botschaft kann bei so einem Fall nicht intervenieren. Unsere Aufgabe ist rein politischer Natur. So etwas fällt in die Zuständigkeit der Exekutive. Wir haben leider keine Möglichkeiten, die Umstände des Todes Ihrer Schwester zu untersuchen.“
Abby kochte vor Wut. Dieses eingebildete Arschloch ließ sie nun bereits seit zehn Minuten im Empfangsraum der Botschaft stehen, ohne ihr oder Jean Mitchard einen Stuhl anzubieten. Er sprach in einem Tonfall, der glauben ließ, er hielte sie für ein kleines Mädchen, dem man umständlich alles erklären musste.
„Ich habe Ihnen doch gesagt“, versuchte es Abby erneut. „Die Behörden lügen. Dr. Mitchard hat herausgefunden, dass es sich bei den sterblichen Überresten, die man mir ausgehändigt hat, nicht um meine Schwester handelt. Und Sie wollen nichts unternehmen?“
„Uns sind leider die Hände gebunden. Unser Einfluss ist begrenzt.“
„Eine britische Staatsbürgerin ist verstorben. Die Umstände ihres Todes sind, gelinde gesagt, merkwürdig. Ich werde bei dem Versuch den Leichnam zurück nach England zu führen, belogen und betrogen, aber Sie sehen keinen Grund etwas zu unternehmen?“
Der Beamte verdrehte die Augen. „Meine Liebe...“
„Nennen Sie mich nicht so. Ich habe einen Namen“, zischte Abby.
„Miss Summers“, begann Hurston unbeeindruckt von vorn. „Die Sterbeurkunde Ihrer Schwester wurde von Dr. Raphael Muncine unterzeichnet, einem angesehenen Arzt in Haiti. Ein Mann von internationalem Renommee.“ Seine Hand deutete auf Jean, der schweigend neben Abby stand. „Selbst Dr. Mitchard hat bestätigt, dass er sich nicht vorstellen kann, etwas sei beim Tod von Linda Summers nicht mit rechten Dingen zugegangen.“
„Und was ist mit dem Versuch, mir eine falsche Leiche unterzuschieben?“
Hurston ächzte. „Vielleicht und ich sage nur vielleicht, haben die Behörden den Leichnam ‚verlegt’ und wollten nicht, dass Sie deshalb Schwierigkeiten machen.“
„Verlegt? Sind Sie noch ganz bei Trost?“
„Ich muss Sie bitten, nicht persönlich zu werden. Ich habe Ihnen nur eine weitere Möglichkeit aufgezeigt.“
Mitchard fasste nach Abbys Arm und zog sie einen Schritt zur Seite. „Hier kommen wir nicht weiter. Lassen Sie uns gehen“, flüsterte er ihr zu.
„Dieses blöde Arschloch treibt mich zur Weißglut“, sagte Abby keineswegs leise.
„Trotzdem verschwenden wir hier nur Zeit.“
Abby drehte sich wieder zu Hurston um. „Wo sind die Sachen meiner Schwester?“
„Sie stehen unten am Empfang bereit. Es handelt sich um einen Koffer mit Kleidungsstücken und zwei Kartons, die hauptsächlich Bücher und Geschäftspapiere enthalten. Die Polizeibehörde hat eine
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