Traumschlange (German Edition)
Wächter hielt sich in der Nähe des Tores auf. Der andere war vor zwei Stunden in einem der kleinen Häuser verschwunden. Abby kroch am Zaun entlang, bis sie eine Stelle erreichte, die nicht vom Mond beschienen wurde, weil ein mächtiger Steinbrocken seinen Schatten über den Draht warf. Sie richtete sich auf.
Ihre Augen wanderten den Maschendraht entlang. Der Zaun schien nicht unter Strom zu stehen. Falls es einen Signaldraht gab, der bei unbefugtem Betreten einen Alarm auslöste, so war er nicht zu sehen. Abby verstand nichts von Sicherheitseinrichtungen, aber sie ging davon aus, dass sich der Farmbesitzer auf die Höhe des Zaunes und seine bewaffneten Wächter verließ. Aber sie hatte sowieso keine Wahl. Sie musste über den Zaun, wenn sie Jean und Linda retten wollte.
Wie sie es allerdings bewältigen wollte, zwei fast debile Menschen dazu zu bringen, über einen drei Meter hohen Zaun zu klettern, war ihr nicht klar. Sie würde sich etwas einfallen lassen müssen, denn Jean und ihre Schwester sahen nicht danach aus, als könnten sie eine derartige Leistung ohne Hilfe vollbringen. Zur Not würde sie versuchen, den Landrover zu stehlen und durch das geschlossene Tor jagen. Eine andere Möglichkeit sah sie nicht.
Abby fasste nach dem Zaun. Ihre Finger griffen zwischen die Maschen. Sie zögerte einen Moment. In ihrem Geist hörte sie bereits Alarmsirenen losgehen, aber nichts geschah. Sie atmete zweimal tief durch, dann zog sie sich hoch.
Den Zaun hinaufzuklettern war nicht schwierig, aber als sie sich auf die andere Seite schwang, verlor sie den Halt und rutschte ab. Es knackte in ihrem verletzten Fuß, als sie auf den Boden prallte. Ein flammender Schmerz jagte ihr Bein hoch und ließ sie keuchen. Abby rappelte sich auf. Mühsam stemmte sie sich ab und versuchte zu stehen. Es ging. Wahrscheinlich war der alte Bruch wieder aufgegangen, aber solange sie den verletzten Fuß nicht zu sehr belastete, konnte sie sich humpelnd fortbewegen. Ihr Missgeschick ärgerte sie. Jetzt würde es noch schwieriger werden, Jean und Linda zu befreien. Und ob sie mit dem Fuß Autofahren konnte, würde sich erst zeigen, wenn sie hinter dem Steuer saß.
Abby fluchte stumm. Aber alles Schimpfen half ihr jetzt nichts. Sie musste die Zähne zusammenbeißen und weitermachen. Geduckt lief sie auf die Felder zu.
Zwischen den hohen Pflanzen fühlte sich Abby sicher. Sie ging nun langsamer, um den verletzten Fuß zu schonen. Der Wind raschelte unheimlich in dem Zuckerrohrfeld und es fiel Abby schwer, etwas zu hören. Den Wächter konnte sie auch nicht mehr sehen, aber sie verließ sich darauf, dass er in der Nähe des Tores bleiben würde.
Sie erreichte das Ende des Feldes und spähte zwischen den Pflanzenstängeln hinaus. Der Wächter hatte sich nicht vom Fleck gerührt und wandte ihr den Rücken zu. An seinem Wärterhäuschen lehnend rauchte er eine Zigarette. Das Glück schien auf ihrer Seite zu sein, denn nun musste sie die freie, beleuchtete Fläche des Hofes überqueren. Abby zählte stumm bis drei und rannte, so schnell es ging, los. Im Schatten eines der Häuser ließ sie sich zu Boden sinken. Ihr Fuß machte mehr Schwierigkeiten, als sie erwartet hatte. Die Schmerzen verwandelten ihr ganzes Bein in glühendes Eisen. Schweiß tropfte von Abbys Stirn. Ihr Atem ging keuchend. Sie gönnte sich einen kurzen Augenblick Ruhe, bevor sie an der Hauswand entlang huschte. Gerade als sie um die Ecke biegen wollte, ging die Tür auf. Lichtschein fiel auf die staubige Erde. Der verzerrte Schatten eines Mannes kroch darüber. Abby presste sich an die Hauswand und wartete.
Plötzlich hörte sie sich nähernde Schritte. Der Wächter vom Tor kam herübergeschlendert. Abby wurde fast schlecht vor Angst. Nur noch wenige Schritte und der Mann würde sie entdecken. Sie schloss die Augen und sandte ein stummes Gebet zum Himmel.
Henrie Lambee stand im Türrahmen des Wohnhauses und genoss die Kühle eines kalten Bieres, als er diesen Kretin Garrie seinen Posten verlassen sah. Garrie war noch jung. Ein ungehobelter, unhöflicher Kerl, der erst seit einem Monat auf der Farm arbeitete, aber schon mehrfach dabei erwischt worden war, wie er seinen Dienst nur nachlässig versah. Der Aufseher fluchte. Dieser Idiot ließ das Tor unbewacht, nur um mit ihm ein Schwätzchen zu halten. Wenn Castor in diesem Augenblick aus dem Haus kam, konnte das eine Menge Ärger bedeuten und zwar nicht nur für Garrie, sondern auch für ihn selbst, denn schließlich war
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