Traumschlange
Augen.
»Jesse versteht es, gute Pferde auszusuchen«, sagte Merideth in einem Versuch der Stimmungslockerung, der so schwach und zerbrechlich war wie Glas. Beide Gefährten sahen Jesse an, die sich nicht bewegte.
»Laßt sie schlafen«, sagte Schlange, obwohl sie keine Ahnung hatte, ob Jesse schlief oder nicht. »Wenn sie aufwacht, dürfte sie hungrig sein. Ich hoffe, ihr habt etwas dabei, das sie essen kann.«
Die starre Aufmerksamkeit, womit sie ihr zugehört hatten, löste sich in leicht überstürzte Betriebsamkeit auf. Merideth kramte in Säcken und Beuteln und suchte Dörrfleisch, Trockenobst sowie eine lederne Feldflasche heraus.
»Dies ist Wein... darf sie davon trinken?«
»Sie hat keine ernste Gehirnerschütterung«, erwiderte Schlange. »Wein dürfte ihr bekommen.« Er könnte ihr sogar helfen, dachte sie, es sei denn, Alkohol macht sie trübsinnig. »Aber das Dörrfleisch...«
»Ich mache Fleischbrühe«, sagte Alex. Von einem Stapel ihrer Ausrüstungsgegenstände nahm er einen metallenen Topf, zog sein Messer aus dem Gürtel und begann ein Stück Dörrfleisch in Würfel zu schneiden. Merideth tränkte geschrumpfte Obststückchen in Wein. Dessen kräftiger, süßer Duft verbreitete sich, und Schlange bemerkte, daß sie durstig war und, entsetzlich hungrig. Die Wüstenbewohner vermochten anscheinend ohne größere Umstände Mahlzeiten auszulassen, doch Schlange war vor zwei Tagen in der Oase eingetroffen – oder schon vor drei Tagen? –‚ und während sie sich ausschlief, um ihren Organismus im Kampf gegen das Schlangengift zu unterstützen, hatte sie wenig gegessen. In dieser Gegend galt es als schlechtes Benehmen, um Nahrung oder Wasser zu bitten, weil es noch schlechteres Benehmen war, beides nicht anzubieten. Aber Benehmen wirkte gegenwärtig nicht sonderlich wichtig. Sie zitterte vor Hunger.
»Bei den Göttern, bin ich hungrig«, sagte plötzlich Merideth mit verwunderter Stimme, als habe er Schlanges Empfindungen gespürt. »Du nicht?«
»Doch, ja«, räumte Alex widerwillig ein.
»Und als Gastgeber...« Schuldbewußt reichte Merideth die Feldflasche Schlange und brachte weitere Schüsseln und noch mehr Trockenobst zum Vorschein.
Schlange trank kühlen, würzig-herzhaften Wein, den ersten Zug zu ausgiebig. Sie hustete; der Wein war stark. Sie trank nochmals und gab die Flasche zurück. Auch Merideth trank; Alex nahm die Flasche und schüttete eine großzügige Portion in den Kochtopf, bevor er selbst trank, in aller Hast, ehe er den Topf nach draußen trug und auf den kleinen Paraffinherd setzte. Die Wärme der Wüste war so bedrückend, daß sie nicht einmal die Hitze der Flamme spürten. Sie flackerte über dem schwarzen Sand wie eine durchsichtige Luftspiegelung, und Schlange fühlte frischen Schweiß an ihren Schläfen und zwischen den Brüsten hinabrinnen. Mit dem Ärmel wischte sie sich die Stirn. Gemeinsam frühstückten sie Dörrfleisch, Trockenobst und Wein; letzterer tat seine Wirkung schnell und nachdrücklich. Alex begann fast unverzüglich zu gähnen, aber jedesmal, wenn er aufschrak, taumelte er pflichtgetreu auf die Füße und ging vor das Zelt, um Jesses Fleischbrühe umzurühren.
»Alex«, sagte schließlich Merideth, »leg dich schlafen.«
»Nein, ich bin nicht müde.« Er rührte, kostete, nahm den Topf vom Feuer und brachte ihn zum Abkühlen ins Zelt.
»Alex...« Merideth ergriff seine Hand und zog ihn herab auf die gemusterte Dekke. »Wenn sie nach uns ruft, werden wir‘s hören. Sobald sie sich wieder regt, kümmern wir uns um sie. Wir können ihr nicht helfen, wenn wir vor Müdigkeit über die eigenen Füße stolpern.«
»Aber ich... ich...« Alex schüttelte den Kopf, aber der Wein und die Müdigkeit wichen nicht. »Und du?«
»Deine Nachtwache war anstrengender als mein Ritt. Ich muß erst noch ein Weilchen stillsitzen und mich beruhigen, dann lege ich mich auch hin.«
Widerwillig,aber dankbar streckte sich Alex aus. Merideth streichelte seinen Schopf, bis er einschlief, nur wenige Augenblicke später, und zu schnarchen anfing. Merideth sah Schlange an und lächelte.
»Als wir ihn kennenlernten, fragten Jesse und ich uns, wie wir wohl jemals bei solchem Lärm schlafen könnten. Inzwischen schlafen wir nur ohne ihn schlecht.«
Alex‘ Schnarchen war laut und dumpf, und dann und wann stockte sein Atem, und er prustete. Schlange lächelte. »Ich glaube, man kann sich an so gut wie alles gewöhnen.«
Sie nahm einen letzten Schluck Wein und reichte die
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