Traumschlange
Feldflasche zurück. Merideth ergriff sie, doch plötzlich bekam er einen Schluckauf, und statt zu trinken verstöpselte er die Flasche, während er errötete.
»Wein wirkt zu kräftig auf mich. Ich sollte nie welchen trinken.«
»Wenigstens weißt du‘s. Wahrscheinlich machst du deshalb nie einen Narren aus dir.«
»Als ich jünger war...« Merideth lachte über irgendwelche Erinnerungen. »Damals war ich ein Narr, und obendrein arm. Ein übles Zusammentreffen.«
»Ich kann mir günstigere Voraussetzungen vorstellen.«
»Nun sind wir reich, und ich bin womöglich ein bißchen weniger närrisch. Doch wozu ist das gut, Heilerin? Geld kann Jesse nicht helfen. Weisheit auch nicht.«
»Du hast recht«, sagte Schlange. »Sie vermögen ihr nicht zu helfen, und auch ich kann‘s nicht. Das können nur du und Alex.«
»Ich weiß es.« Merideths Stimme klang leise und traurig. »Aber Jesse wird lange brauchen, bis sie sich daran gewöhnt hat.«
»Sie lebt, Merideth. Der Unfall hätte sie so leicht ums Leben bringen können... ist es da nicht genug, um dankbar zu sein, daß sie lebt?«
»Doch, für mich, ja.« Seine Stimme begann trunken zu nölen. »Aber du kennst Jesse nicht. Du weißt nicht, woher sie stammt, warum sie hier ist...«
Merideth betrachtete Schlange matt, zögerte, gab sich dann einen Ruck und sprach weiter.
»Sie ist mit uns zusammen, weil sie es nicht ertragen kann, im Käfig zu sitzen. Ehe wir uns zusammenfanden, war sie reich, mächtig und versorgt. Aber ihr ganzes Leben und all ihr Tun waren vorgeplant. Sie wäre eines der Oberhäupter im
Zentrum geworden...«
»Der Stadt!«
»Ja, das wäre ihr zugefallen, hätte sie‘s gewollt. Aber unter einem steinernen Himmel wollte sie nicht leben. Mit nichts ging sie fort. Sie wählte selber ihr Schicksal. Um frei zu sein. Und nun... sind ihr die Dinge genommen, die sie am meisten schätzte.. Wie kann ich ihr sagen, sie solle froh sein, daß sie noch lebt, wenn sie weiß, daß sie niemals wieder auf Wüstensand dahinschreiten kann, mir einen Diamanten für den Ohrring irgendeines Patrons suchen, nie wieder ein Pferd zureiten wird, nie wieder lieben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Schlange. »Aber wenn du und Alex ihr Fortleben als eine Tragödie betrachtet, wird daraus auch eine werden.«
Kurz vor der Dämmerung ließ die Hitze ein wenig nach, doch die Temperatur stieg sofort wieder, als die Helligkeit heraufzog. Das Lager war tief im Schatten aufgeschlagen, doch selbst im Schutz der Felsenwälle lastete die Wärme darauf wie ein gewaltiger Druck. Alex schnarchte, und neben ihm schlief friedlich Merideth, taub für die Laute seines Gefährten, eine kraftvolle Hand über Alex‘ Rücken gelegt. Schlange lag auf dem Gesicht am Zeltboden, die Arme von sich gestreckt...
Die feinen Fasern der Decken unter ihr kitzelten sachte ihre schweißfeuchten Wangen. Ihre Hand pochte, sie konnte nicht schlafen, doch andererseits brachte sie nicht genug Entschlußkraft auf, um sich zu erheben. Sie entglitt in einen Traum, worin Arevin vorkam. Sie sah ihn deutlicher, als sie sich im Wachzustand an ihn erinnerte. Es war ein sonderbarer Traum, kindlich unschuldig.
Kaum berührte sie Arevins Fingerspitzen, da begann er schon wieder zu entschwinden. Es verlangte Schlange verzweifelt nach ihm. Als sie erwachte, pulsierte sie von sexueller Spannung, ihr Herz hämmerte.
Jesse bewegte sich. Einen Moment lang rührte sich Schlange nicht, dann stand sie unwillig auf. Sie betrachtete die beiden Männer. Alex schlief fest, im zeitweiligen Vergessen der Jugendlichkeit, wogegen die Ermattung Merideths Gesicht mit Falten gezeichnet hatte, und Schweiß rann durch seine glänzenden schwarzen Lokken. Schlange wandte sich von Merideth und Alex ab und kniete sich neben Jesse, die noch auf dem Bauch lag, wie sie sie beim letztmaligen Wenden gebettet hatten, eine Wange auf eine Hand gestützt, die andere Hand über den Augen.
Sie täuscht nur vor, daß sie schläft, dachte Schlange, ihre Armbeuge, die Krümmung ihrer Finger sind nicht locker, sondern verkrampft. Oder sie möchte gern schlafen und kann es nicht, so wie ich. Wir beide würden gerne schlafen, schlafen und die Wirklichkeit vergessen.
»Jesse«, sagte sie leise; dann wiederholte sie es. »Jesse, bitte.«
Jesse seufzte und ließ ihre Hand aufs Laken sinken. »Hier ist Fleischbrühe, wenn du dich kräftig genug fühlst, um sie zu essen. Und Wein, wenn du welchen möchtest.«
Ein kaum wahrnehmbares Kopfschütteln,
Weitere Kostenlose Bücher