Traumschlange
Gesicht.
»Was denkst du?« fragte Merideth.
»Ich denke drüber nach, wie ich Jesse dazu bringen kann, daß sie leben möchte.«
»Sie wird nicht ohne Sinn leben wollen. Alex und ich lieben sie. Wir werden uns um sie kümmern, ganz gleich, was geschieht. Aber das ist nicht genug für sie.«
»Muß sie laufen können, um sich sinnvoll zu betätigen?«
»Heilerin, sie ist unsere Schürferin.« Merideth sah Schlange traurig an. »Sie hat mich zu lehren versucht, wie und wo man hinschaut. Ich verstehe, was sie mir erklärt, aber wenn ich hinausgehe, beträgt die Wahrscheinlichkeit fünfzig Prozent, daß ich nichts finde als bunte Glasscherben und Katzengold.«
»Hast du ihr deine Arbeit gezeigt?«
»Natürlich. Jeder von uns kann ein wenig von den Aufgaben der anderen erledigen. Sie ist in meinem Bereich besser als ich in ihrem, und ich bin besser in ihrem, als jeder von uns zweien in Alex‘ Bereich ist, aber die Menschen begreifen ihre Handwerkskunst nicht. Ihre Schmuckstücke sind zu seltsam. Sie sind schön.«
Merideth seufzte und hielt Schlange ein Armband hin, damit sie es betrachte, der einzige Schmuck, den er trug. Es war aus Silber und ohne Steine, von regelmäßiger Geometrie und aus mehreren Schichten verschiedener Metalle hergestellt. Merideth hatte recht – es war schön, aber seltsam.
»Niemand will ihre Stücke kaufen. Sie weiß es. Ich täte alles, um sie zu fördern. Ich würde sie anlügen, hätte es einen Zweck. Aber sie findet alles heraus. Heilerin...«
Merideth warf den Wasserschlauch in den Sand. »Kannst du überhaupt nichts für sie tun?«
»Mit Infektionen, gewöhnlichen Krankheiten und Tumoren kann ich fertigwerden. Ich kann auch Operationen durchführen, soweit sich meine Instrumente dazu eignen. Aber ich kann keinen Körper zur Heilung zwingen.«
»Kann irgend jemand das?«
»Nein.., niemand, den ich kenne... auf dieser Erde.«
»Du bist keine Mystikerin«, stellte Merideth fest. »Du redest nicht davon, daß womöglich irgendein guter Geist ein Wunder bewirken könnte. Du meinst, vielleicht könnten die Leute außerhalb der Erde helfen.«
»Vielleicht«, sagte Schlange gedehnt und bereute ihren Tonfall sofort. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß Merideth ihre Abneigung bemerken werde, obwohl sie es hätte erwarten müssen. Die Stadt beeinflußte alle Menschen ringsum; sie glich dem Mittelpunkt eines Mahlstroms, geheimnisvoll und faszinierend. Und sie war der Ort, wo manchmal die Fremdweltler landeten. Durch Jesse wußte Merideth möglicherweise mehr über sie und die Stadt als Schlange. Alle Geschichten über das Zentrum waren für Schlange immer nur eine Sache guten Glaubens gewesen; und die Vorstellung von Fremdweltlern fiel jemandem schwer, der in einem Land lebte, wo man kaum jemals die Sterne sah.
»Vielleicht kann man sie sogar in der Stadt heilen«, sagte Schlange. »Woher soll ich das wissen? Die Leute, die dort wohnen, reden nicht mit uns. Sie sondern sich ab von uns hier draußen. Und was die Fremdweltler angeht, so bin ich noch nie jemandem begegnet, der von sich behauptete, schon einmal einen gesehen zu haben.«
»Jesse hat einen gesehen.«
»Würden sie ihr helfen?«
»Ihre Familie ist einflußreich. Vielleicht könnte sie die Fremdweltler überreden, daß sie sie irgendwohin bringen, wo man sie heilen kann.«
»Die Menschen im Zentrum und die Fremdweltler hüten ihr Wissen eifersüchtig, Merideth«, sagte Schlange. »Wenigstens haben sie noch nie den Vorschlag unterbreitet, irgendwem etwas davon mitzuteilen.«
Merideth schnitt eine finstere Miene und wandte sich ab. »Ich meine, man sollte es versuchen. Es gäbe ihr Hoffnung...«
»Und wenn sie ablehnen, ist ihre Hoffnung ein für allemal dahin.«
»Sie braucht diese Übergangszeit.«
Merideth überlegte. »Und du wirst mitkommen, um uns zu unterstützen?« erkundigte er sich schließlich.
Nun war es Schlange, die zögerte. Sie hatte sich bereits innerlich darauf eingestellt, zur Niederlassung der Heiler zurückzukehren und sich dem Urteil ihrer Lehrer zu beugen, sobald sie ihnen von ihrem Versagen berichtet hatte. Die Bereitschaft zur Rückkehr ins Tal war vollauf vorhanden. Aber sie machte sich nun mit dem Gedanken an eine andere Reise vertraut, und dabei begriff sie, wie schwierig die Aufgabe war, die Merideth ihr antrug. Doch sie würden dringend jemanden benötigen, der wußte, welcher Pflege Jesse bedurfte.
»Heilerin?«
»Einverstanden. Ich begleite euch.«
»Dann laß uns mit Jesse
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