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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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sprechen.«
    Sie kehrten zurück ins Zelt. Es überraschte Schlange, daß sie plötzlich Zuversicht empfand; sie lächelte in aufrichtiger Ermutigung, erstmals seit scheinbar sehr langer Zeit. Drinnen saß Alex neben Jesse. Er sah Schlange an, als sie eintraten.
    »Jesse«, sagte Merideth, »wir haben uns einen Plan ausgedacht.«
    Die Männer drehten Jesse unter Schlanges Anleitung vorsichtig von neuem um. Müde blickte Jesse auf, scheinbar gealtert durch tiefe Falten in der Stirn und um den Mund. Dann erläuterte Merideth das Vorhaben mit erregten Gesten. Jesse hörte gleichgültig zu. Alex‘ Miene zeugte von Unglauben: »Ihr seid verrückt«, sagte er, als Merideth schwieg.
    »Nein, keineswegs! Warum sagst du so etwas, wenn es doch eine Chance ist?«
    Schlange sah Jesse an. »Sind wir verrückt?«
    »Ich glaube, ja«, antwortete Jesse, aber sie sprach sehr langsam, sehr nachdenklich.
    »Wenn wir das Zentrum aufsuchen«, fragte Schlange, »könnten deine Verwandten dir helfen?«
    Jesse zögerte. »Meine Verwandtschaft kennt gewisse Methoden. Sie kann auch sehr schwere Verletzungen heilen. Aber das Rückgrat? Vielleicht. Ich weiß es nicht. Und sie hat keinen Grund, mir zu helfen. Schon seit langem nicht mehr.«
    »Immer hast du mir erzählt, wie wichtig unter den Familien der Stadt die Blutsbande seien«, sagte Merideth. »Du bist ihre Blutsverwandte...«
    »Ich habe sie verlassen«, sagte Jesse. »Ich habe diese Bande zerrissen. Warum sollte sie mich wiederaufnehmen? Willst du, daß ich hingehe und sie anflehe?«
    »Ja.«
    Jesse senkte ihren Blick auf ihre langen, starken, doch nun nutzlosen Beine.
    Alex musterte Merideth, dann Schlange. »Jesse, ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen, wie du vorhin warst, ich kann es nicht aushalten, daß du sterben möchtest.«
    »Sie ist sehr stolz«, sagte Jesse. »Ich habe den Stolz meiner Familie verletzt, als ich von ihr ging.«
    »Dann wird sie verstehen, welche Überwindung es dich kostet, sie um Beistand zu bitten.«
    »Es wäre verrückt«, sagte Jesse, »es nur zu versuchen.«
     

3
    Sie planten den Abbruch des Lagers noch für den Abend und die Überquerung des Lavastreifens in der Dunkelheit der Nacht. Schlange hätte es vorgezogen, noch ein paar Tage lang zu warten, bevor sie Jesse zum Zwecke der Beförderung bewegten, aber es blieb keine Wahl. Jesses Stimmung war in ihrer gegenwärtigen Verfassung allzu wechselhaft, so daß es sich nicht empfahl, länger zu warten. Es war klar, daß die Dreierschaft den Aufenthalt in der Wüste bereits zu lange ausgedehnt hatte. Alex und Merideth konnten nicht vor Jesse verbergen, daß das Wasser ausging, daß sie und die Pferde Durst litten, damit man Jesse reinigen und waschen konnte. Noch einige Tage mehr in der Schlucht, inmitten säuerlichen Geruchs, der sich ausbreitete, weil nichts anständig gewaschen wurde, und Jesse mußte in Depressionen und Abscheu verfallen. Und sie hatten keine Zeit zu verlieren. Ein weiter Weg war zurückzulegen: zunächst aufwärts und über die Lava hinweg, dann ostwärts zum Mittelgebirge, das die Schwarze Wüste in ihre westliche Hälfte, wo sie sich gegenwärtig aufhielten, und ihren östlichen Teil trennte, wo die Stadt lag. Die Straße, die durch die westlichen und östlichen Ausläufer des Gebirges verlief, war gut,aber nach der Überquerung des Passes mußten sie wieder hinaus in die Wüste und nach Südosten, zum Zentrum. Sie mußten sich beeilen. Sobald die Winterstürme begannen, konnte niemand die Wüste durchqueren; die Stadt war im Winter unzugänglich. Der Sommer entschwand bereits in prickligen Staubwolken und vom Wind aufgewühlten Sandwirbeln. Das Zelt abbrechen und die Pferde beladen wollten sie erst im Zwielicht der Abenddämmerung, aber bevor es zu heiß zum Arbeiten war, packten sie schon soviel wie möglich zusammen und stapelten das Gepäck neben Jesses Erzsäcken.
    Bei der Arbeit gewann Schlanges Hand ihre Beweglichkeit zurück. Der Bluterguß wich nun endlich in sichtlichem Maße, und die Bißwunden waren zu hellrosa Narben verheilt. Bald würde der Biß all den anderen Narben an ihren Händen gleichen, würde sie selbst vergessen haben, woher er stammte. Heute wünschte sie sich, sie hätte eine der scheußlichen Schlangen, die Arevin Sandnattern genannt hatte, eingefangen und mitgenommen. Sie hatte diese Schlangenart zuvor nie gesehen. Selbst wenn sie sich als unbrauchbar für die Heiler erwiesen hätte, so wäre es doch möglich gewesen, gegen ihr Gift ein Mittel

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