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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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hatten, der kleinen, von Arthritis gebeugten Alten beim Gehen zu helfen. Grums weißes Kopftuch lag schief über ihrem gelichteten Haar.
    »Liebes Kind, wie bist du nur unbemerkt an mir vorbeigekommen? Ich höre sie, wenn sie eintrifft, dachte ich, oder ihr Pony wird sie wittern und wiehern.«
    Grums von der Sonne verbranntes, vom Alter gerunzeltes Gesicht wies heute zusätzlich Sorgenfalten auf.
    »Schlange-Kindchen, das wollten wir nicht, daß du dies hier so völlig unvorbereitet vorfindest.«
    »Was ist geschehen, Grum?«
    »Pauli«, sagte Grum zu ihrer Enkelin, »versorge das Pferd der Heilerin.«
    »Ja, Grum.«
    Als Pauli die Zügel nahm, berührte sie in einer Geste des Trostes Schlanges Arm. Sie lud sich den Sattel auf und führte Wind hinüber zu Grums Lager. Eine Hand an Schlanges Ellbogen – nicht um sich, sondern um sie zu stützen –‚ geleitete Grum sie zu einem Felsen. Sie setzten sich, und Schlange schaute erneut rundum, als Ungläubigkeit ihre Mattigkeit verdrängte. Sie heftete ihren Blick auf Grum. Grum seufzte.
    »Gestern war‘s, kurz vor der Morgendämmerung. Wir hörten Geräusche und eine Stimme, nicht deine, und als wir nach dem Rechten ahen, erblickten wir hier eine einzelne Gestalt in Wüstenkleidung. Wir glaubten, sie vollführe einen Tanz. Aber als wir uns näherten, lief sie fort. Der Täter zerbrach seine Laterne im Sand, und danach konnten wir ihn nicht finden. Und dein Lagerplatz...« Grum hob die Schultern. »Wir haben uns alles angeschaut, aber nichts war unversehrt geblieben.«
    Wortlos ließ Schlange ihren Blick nochmals rundum wandern, der Erkenntnis, warum jemand ihren Lagerplatz verwüsten sollte, nicht näher als zuvor.
    »Am Morgen hatte der Wind alle Spuren verweht«, sagte Grum. »Diese Kreatur muß hinaus in die Wüste geflohen sein, aber es war kein Wüstenbewohner. Wir stehlen nicht. Wir zerstören nicht.«
    »Das weiß ich, Grum.«
    »Du kommst nun zu mir. Frühstück. Ausschlafen. Vergiß diesen Verrückten. Wir müssen alle ständig vor Verrückten auf der Hut sein.« Sie nahm Schlanges narbige Hand in ihre kleine, schwielige Hand. »Aber wir wollten nicht, daß du diese Bescherung so völlig unerwartet entdeckst, nein. Ich hätte deine Ankunft bemerken müssen, Schlange-Kindchen.«
    »Das ist doch nicht so schlimm, Grum.«
    »Laß mich dir beim Umzug in unsere Zelte helfen. Hier möchtest du ja wohl nicht länger bleiben.«
    »Zum Umziehen ist nichts übrig.«
    Schlange erhob sich, verharrte neben Grum und starrte das Unheil an. Die Alte tätschelte behutsam ihre Hand.
    »Er hat alles demoliert, Grum. Ich könnte es begreifen, hätte er alles weggeschleppt.«
    »Meine Liebe, niemand begreift Verrückte. Sie haben keinen Verstand.«
    Genau das jedoch war der Grund, warum Schlange nicht glauben konnte, daß ein wirklich Verrückter soviel so völlig zerstören würde; der Schaden war auf eine so vorsätzliche und sonderbar rationale Weise angerichtet worden, daß der Wahnsinn weniger wie das Ergebnis einer geistigen Erkrankung als die Folge gewaltiger Wut wirkte. Ihr schauderte.
    »Hör auf mich«, sagte Grum. »Verrückte kommen, Verrückte gehen. Sie sind wie Sandflöhe, in dem einen Sommer begegnet man ihnen überall, im nächsten Jahr scheint es keine zu geben.«
    »Wahrscheinlich hast du recht.«
    »Habe ich auch«, meinte Grum. »Ich kenne mich aus. Hier wird er nicht wieder auftauchen, er zieht woandershin, aber bald werden wir alle Bescheid wissen und die Augen offenhalten. Wenn wir ihn erwischen, bringen wir ihn zu den Besserern, vielleicht können die ihn zurechtrücken.«
    Matt nickte Schlange. »Ich hoffe es.«
    Sie warf sich Eichhörnchens Sattel über die Schultern und nahm das Schlangenbehältnis in die Hand. Der Griff zitterte kaum merklich, als sich Sand in seinem Fach umherwand. Sie ging mit Grum ins Lager der Alten, zu müde, um länger darüber nachzudenken, was geschehen war, und lauschte bereitwillig Grums besänftigenden Worten des Trostes und Mitgefühls. Der Verlust von Gras, der Tod Jesses und nun dies – beinahe wünschte Schlange, sie wäre abergläubisch, so daß sie glauben könne, sie sei verflucht. Menschen, die an böse Flüche glaubten, glaubten auch an Mittel und Wege, um sie zu unterlaufen. Dagegen wußte Schlange im Moment gar nicht recht, was sie denken oder woran sie glauben sollte oder wie sich die Pechsträhne abschütteln ließ, die über ihr Dasein gekommen sein mußte.
    »Warum hat er bloß mein Berichtsbuch gestohlen?«

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