Traumschlange
zusammenrollen und schlafen, kaum anders als sonst, während seine Giftdrüsen einen chemisch komplizierten Saft aus mehreren Proteinen und Antikörpern gegen eine Anzahl ansteckender Krankheiten und als Stimulatoren für die Abwehrsysteme des menschlichen Körpers produzierten. Die Heiler benutzten Klapperschlangen schon wesentlich länger als Kobras; im Vergleich mit Dunst war der Diamantrücken an Katalysatordrogen und ihre Veränderungen um Dutzende von Generationen und etliche hundert genetische Experimente angepaßter.
5
Am Morgen melkte Schlange Sand in eine Serumflasche. Sie konnte ihn selbst nicht zur Durchführung der Impfaktion einsetzen, weil ja jede Person nur eine winzige Menge des Impfstoffs brauchte, Sand würde zuviel davon zu tief einspritzen. Sie verwendete für Impfungen einen Inokulator, ein Instrument mit einem Ring kurzer nadelartiger Spitzen, das den Impfstoff oberflächlich unter die Haut preßte. Sie schob die Klapperschlange zurück in ihr Fach und verließ das Zelt.
Draußen hatten sich die Leute aus den Lagern bereits zu versammeln begonnen, drei oder vier Generationen von jeder Sippe. Allen voran wartete Grum, gleich hinter ihr standen ihre Enkelkinder. Insgesamt waren es deren sieben, angefangen beim ältesten, nämlich Pauli, bis zu einem ungefähr sechsjährigen Kind, dem kleinen Mädchen, das Winds Sattel geputzt hatte. Nicht alle waren in direkter Linie Grums Abkömmlinge, denn die Struktur ihres Klans beruhte auf einem erweiterten Familienbegriff. Die Kinder der Sprößlinge ihrer längst verschiedenen Ehepartner, ihrer eigenen Schwester sowie die Nachkommen der Kinder von den Ehepartnern ihrer Schwester galten alle gleichermaßen als ihre Enkel. Allerdings waren jetzt nicht alle mit ihr gekommen, sondern nur jene, die auch in der Zukunft ihre Karawanen begleiten sollten.
»Wer möchte zuerst an die Reihe kommen?« erkundigte sich Schlange in fröhlichem Tonfall.
»Ich«, meldete sich Grum. »Ich will zuerst drankommen, habe ich gesagt, und so soll‘s auch sein.«
Sie schaute hinüber zu den Sammlern, die in einem farbenprächtig bunten Haufen ein wenig abseits standen.
»Gib genau acht, Ao«, rief sie jenem zu, der um Schlanges demolierte Ausrüstung gebeten hatte. »Du wirst sehen, daß es mich nicht umbringt.«
»Dich kann überhaupt nichts umbringen, alte Kuhhaut. Ich werde abwarten, um zu sehen, wie‘s den anderen ergeht.«
»Alte Kuhhaut? Ao, du Lumpensack!«
»Keine Aufregung«, sagte Schlange und hob ein wenig ihre Stimme. »Ich habe euch allen zweierlei mitzuteilen. Erstens, daß manche Menschen gegen das Serum empfindlicher sind als andere. Sollte sich die Impfnarbe bei irgendwem rot verfärben, stechend schmerzen, die Haut heiß sein, dann muß derjenige noch einmal zu mir kommen. Ich bleibe hier bis zum Abend. Falls etwas geschieht, dann ganz bestimmt vorher, klar? Wenn jemand sich als besonders empfindlich erweisen sollte, kann ich dann noch verhindern, daß er erkrankt. Es ist sehr wichtig, daß jeder zurückkommt, der mehr verspürt als einen dumpfen Kopfschmerz. Versucht nicht, irgend etwas leichthin abzutun.«
Während eines Gemurmels der Zustimmung und vielfachem Nicken ertönte nochmals Aos Stimme. »Das heißt, du könntest doch jemanden umbringen.«
»Wenn du dir das Bein brichst, bist du dann so dumm und verhältst dich so, als sei nichts geschehen?« Ao schnob geringschätzig. »Also solltest du auch nicht dumm genug sein, es zu mißachten, falls etwas schiefgeht, wenn du nicht an einerÜberreaktion sterben möchtest.«
Schlange streifte ihre Robe ab und rollte den kurzen Ärmel ihres Gewandes auf. »Zweitens habe ich folgendes zu sagen: Die Impfung hinterläßt eine kleine Narbe, so wie diese hier.« Sie ging von einer Gruppe zur anderen und zeigte die Narbe von ihrer ersten Immunisierung gegen Gift. »Wenn also jemand die Narbe an einer Körperstelle haben möchte, wo sie weniger sichtbar ist, muß er es mir vorher verraten.«
Der Anblick der winzigen, harmlosen Narbe beruhigte sogar Ao, der ohne Überzeugung murmelte, Heiler könnten jedem Gift widerstehen, dann jedoch den Mund hielt. Grum trat zuerst vor, und es überraschte Schlange, in ihrem Gesicht Blässe zu erkennen.
»Fühlst du dich auch wohl, Grum?«
»Es liegt am Blut«, antwortete Grum. »Das muß es sein, Schlange-Kindchen. Ich kann kein Blut sehen.«
»Du wirst auch kaum welches zu sehen bekommen. Bleib ganz locker.«
Während sie in zur Beruhigung geeignetem Ton auf
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