Traumschlange
hochgerollt, damit das Innere noch die leicht kühle frühmorgendliche Brise einfange. Ebenfalls von Grum stammte eine Schüssel voller frischer Früchte, die ersten reifen Beeren von den Bäumen. Sie waren rund, blauschwarz und kleiner als Hühnereier. Vorsichtig biß Schlange in eine Beere; sie hatte noch nie eine davon in ganz frischem Zustand gegessen. Der saure, dünne Fruchtsaft spritzte aus der geplatzten Haut der Beere. Sie verzehrte sie langsam und mit Genuß. Der Stein in der Mitte war groß, füllte fast den halben Durchmesser der Frucht aus. Sein Gehäuse war dick, um dem Samen Schutz gegen die Winterstürme und die langen Monate oder Jahre der Dürre zu bieten.
Als sie das Fruchtfleisch verzehrt hatte, legte Schlange den Stein beiseite, denn man pflegte solche Steine in der Nähe der Oase einzupflanzen, wo sie eine Gelegenheit zum Gedeihen hatten. Während sie sich ausstreckte, nahm Schlange sich vor, daran zu denken, ein paar Kerne dieser Sommerbäume mitzunehmen. Falls sie auch in den Bergen wuchsen, wären sie für den Obstanbau eine echte Bereicherung. Einen Moment später schlief sie ein.
Sie schlummerte fest und traumlos, und als sie am Abend erwachte, fühlte sie sich besser als an den letzten Tagen vorher; sie fühlte sich wohl. Im Lager herrschte Stille. Grum und ihre Enkelkinder galt dies als ein planmäßiger Rastaufenthalt für sie selbst und ihre Packtiere. Sie waren Händler und kehrten nach einem Sommer des Feilschens, Kaufens und Verkaufens nach Hause zurück.
Grums Sippe besaß – wie die anderen Händler, die hier regelmäßig lagerten – auf einen Anteil an den Früchten in der Oase ein Erbrecht. Wenn die Obsternte vorüber und die Früchte getrocknet waren, verließ Grums Karawane die Wüste und legte die letzten paar Tagesmärsche zurück, die sie noch von den Winterquartieren trennten. Die Obsternte stand kurz bevor; die Luft war erfüllt vom eindringlichen Duft der Früchte.
Grum stand in der Nähe der Koppel, die Hände auf dem Knauf ihres Stockes gefaltet. Als sie Schlange hörte, drehte sie sich um und lächelte.
»Gut geschlafen, Heiler-Kindchen?«
»Ja, Grum, danke.«
Unter Grums Pferden wirkte Eichhörnchen beinahe schäbig; die Alte bevorzugte Schecken, Apfelschimmel und Falben. Sie meinte, das mache ihre Karawane auffälliger, und wahrscheinlich hatte sie damit recht.
Schlange pfiff; Eichhörnchen warf den Kopf hoch, trabte heran und schlug mit den Hinterbeinen aus, rundum gesund und wohlgelaunt.
»Er hatte Sehnsucht nach dir.«
»Ja, ich sehe es, er ist regelrecht dahingewelkt.«
Schlange kraulte Eichhörnchen hinterm Ohr, während er sein Maul gegen sie drängte. Grum kicherte.
»Wir füttern unsere Pferde gut. Niemand hat jemals Grum und die ihren beschuldigen können, sie würden Tiere schlecht behandeln.«
»Ich werde ihn wohl fortlocken müssen, um weiterziehen zu können.«
»Dann bleibe. Komm mit uns in unser Dorf und verbring den Winter bei uns. Wir sind nicht gesünder als andere Leute.«
»Danke für das Angebot, Grum. Aber zuerst habe ich noch etwas zu erledigen.«
Für einen Moment hatte sie Jesses Tod fast vergessen, aber sie wußte, daß die Erinnerung ihrem Bewußtsein niemals allzu fern sein würde. Schlange duckte sich unter der Einzäunung aus Tauen hinweg. Sie trat an die Schulter des Tigerponys und hob seinen Fuß an.
»Wir haben versucht, das Hufeisen zu ersetzen«, sagte Grum, »aber unsere Eisen sind alle zu groß, und kein Schmied hat sich eingefunden, der seines hätte wiederherstellen oder ihm ein neues anfertigen können. So spät im Jahr läßt sich hier kein Schmied blicken.«
Schlange nahm die Stücke des zerbrochenen Hufeisens entgegen. Das Eisen war fast neuwertig, denn ehe sie sich zur Durchquerung der Wüste anschickte, hatte sie Eichhörnchen neu beschlagen lassen. Selbst die Ränder waren noch scharfkantig und regelmäßig. Das Metall selbst fehlerhaft gewesen sein. Sie gab die Bruchstükke an Grum zurück.
»Vielleicht kann Ao das Metall verwenden. Meinst du, daß Eichhörnchen bis nach Berghausen laufen kann, wenn ich vorsichtig mit ihm umgehe?«
»O ja, zumal du doch auf deiner schönen grauen Stute reiten kannst.«
Schlange bereute es, überhaupt auf Eichhörnchen geritten zu sein. Gewöhnlich tat sie das keineswegs. Im Gehen kam sie für ihre Begriffe schnell genug voran, und Eichhörnchen trug nur ihr Gepäck und ihre Schlangen. Aber nachdem sie Arevins Lager verlassen hatte, spürte sie die Folgen
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