Traumschlange
Berghausener Währung zu nehmen«, sagte er. »Man weiß überall, daß wir nie das Metall wechseln oder das Münzgewicht verringern. Aber wir können dich selbstverständlich in Edelsteinen auszahlen, wenn du dies vorziehst.«
»Ich will weder das eine noch das andere«, sagte Schlange. »Ich möchte Melissa.«
»Melissa? Eine Einwohnerin? Heilerin, es hat zwanzig Jahre gedauert, bis es mir gelang, Berghausens Ruf als eine Brutstätte der Leibeigenschaft zu beseitigen. Wir machen keine Menschen zu Leibeigenen. Vielmehr pflegen wir sie von der Leibeigenschaft zu befreien.«
»Heiler haben keine Leibeigenen. Ich hätte sagen sollen, ich wünsche ihre Freiheit. Sie möchte mit mir fortgehen, aber Ihr Stallmeister Ras ist... wie nennen Sie das? Ihr Vormund.«
Der Bürgermeister musterte sie. »Heilerin, ich kann nicht von einem Mann verlangen, daß er seine Familie auseinanderreißt.« Schlange verkniff sich jede Erwiderung.
Sie wollte ihren Widerwillen nicht zu begründen haben. Als sie schwieg, regte der Bürgermeister sich unbehaglich, rieb sein Bein, nahm wieder die Finger vom Verband.
»Das ist eine heikle Sache. Bist du sicher, daß du nicht doch lieber etwas anderes möchtest?«
»Weisen Sie mein Anliegen zurück?«
Er erkannte die verhohlene Drohung in ihrem Tonfall und läutete; Brian kam herein.
»Schicke jemanden zu Ras. Er soll baldmöglichst heraufkommen und sein Kind mitbringen.«
»Die Heilerin hat bereits nach den beiden schicken lassen, Herr.«
»Aha.«
Er heftete seinen Blick auf Schlange, während sich Brian wieder entfernte.
»Und wenn er sich deinem Wunsch verschließt?«
»Es steht jedem frei, einem Heiler die Entlohnung zu verweigern«, sagte Schlange. »Wir verwenden Waffen nur zur Selbstverteidigung, und wir stoßen niemals gegen irgendwen Drohungen aus. Aber wir gehen nicht dorthin, wo wir nicht willkommen sind.«
»Du meinst, ihr boykottiert die Orte, wo man nicht nach eurer Pfeife tanzt.«
Schlange zuckte die Achseln.
»Ras ist, hier, Herr«, sagte an der Tür Brian.
»Er soll hereinkommen.«
Schlanges Haltung verkrampfte sich, während sie ihre Verachtung und ihren Widerwillen unterdrückte. Der riesenhafte Mann trat ein, offensichtlich übellaunig. Sein Haar war feucht und nachlässig nach hinten gekämmt. Er vollführte vor dem Bürgermeister eine knappe Verbeugung. Melissa befand sich hinter Ras in Brians Nähe. Der alte Diener schob sie ins Zimmer; sie hielt den Blick gesenkt.
»Es ist alles in Ordnung, Kind«, sagte der Bürgermeister zu ihr. »Du bist nicht hier, um bestraft zu werden.«
»Das ist wohl kaum die richtige Art«, fuhr Schlange auf, »um jemandem Mut zu machen.«
»Heilerin, ich bitte dich, nimm Platz«, sagte der Bürgermeister nachsichtig. »Ras...«
Er nickte hinüber zu zwei Stühlen. Ras setzte sich und warf Schlange einen Blick voller Abneigung zu. Brian drängte Melissa weiter nach vorn, bis sie zwischen Schlange und Ras stand.
»Ras ist dein Vormund«, sagte der Bürgermeister. »Stimmt das?«
»Ja«, flüsterte sie.
Ras hob eine Hand, legte einen Finger an Melissas Schulter und gab ihr einen leichten, aber unfreundlichen Schubs.
»Zeige wenigstens Respekt, wenn du mit dem Bürgermeister sprechen darfst.«
»Ja, Herr.« Melissas Stimme klang leise und zittrig.
»Melissa«, sagte Schlange, »der Bürgermeister hat dich kommen lassen, um zu erfahren, was du möchtest.«
Ras wandte ruckartig den Kopf. »Was sie möchte? Was soll das heißen?«
»Bitte, Heilerin«, sagte der Bürgermeister, und diesmal sprach er andeutungsweise im Tonfall einer Ermahnung. »Ras, ich stecke in beträchtlichen Schwierigkeiten. Und nur du, mein Freund, kannst mir helfen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Die Heilerin hat mir das Leben gerettet, mußt du wissen, und es ist soweit, daß sie belohnt werden sollte. Anscheinend haben sie und dein Kind irgendwie aneinander Gefallen gefunden. «
»Und was erwarten Sie nun von mir?«
»Ich würde dich niemals um dieses Opfer ersuchen, wäre es nicht im Interesse der gesamten Ortschaft. Und der Heilerin zufolge ist es auch genau das, was dein Kind wünscht.«
»Was ist es, das es wünscht? Dein Kind...«
»Melissa«, sagte Schlange.
»Ihr Name lautet nicht Melissa«, sagte barsch Ras. »Er ist‘s nicht und war‘s auch nie.«
»Dann teile dem Bürgermeister gütigst mit, wie du sie zu nennen pflegst.«
»So wie ich sie rufe, ist es ehrlicher als die Anmaßung, die sie sich herausnimmt. Sie hat sich diesen
Weitere Kostenlose Bücher