Traumzeit
Enkeltochter führte, Joanna blickte auf das schöne Baby und dachte: Meine Tochter.
Als sie leise lachte, runzelte Sarah die Stirn. Sie legte sich neben Joanna und wärmte sie und das Kind mit ihrem Körper.
»Halte die Regenbogenschlange von ihr fern, Sarah«, flüsterte Joanna.
»Ja«, erwiderte Sarah leise. »Ja!« Sie hoffte, dazu in der Lage zu sein. Sie hoffte, jetzt, nach ihrer Einweihung, die Macht zu besitzen – die Macht der Traumpfade der Frauen. Sie hoffte, mit ihrem Gesang Merinda, diese Frau und das Kind von dem Gift zu befreien – jetzt und für alle Zeiten.
Teil Drei 1880
Kapitel Achtzehn
1
»Und, Mrs. Westbrook«, fragte der Junge von der Tür aus, »was fehlt Mutter?«
Deiner Mutter fehlt der richtige Mann, dachte Joanna, während sie den Verband überprüfte. »Sie hat sich verletzt«, sagte sie mit einem Blick auf Sarah, die am Fußende des Bettes stand. Fanny hatte sie gebeten, niemandem etwas von dem wahren Grund ihrer Verletzungen zu sagen. »Keine Angst, sie wird bald wieder gesund sein.«
Es war noch sehr früh am Morgen. Vor ein paar Stunden, noch vor Sonnenaufgang, hatte es heftig an die Tür des Rindenhauses geklopft, und ein Junge rief aufgeregt: »Missus, kommen Sie schnell! Mutter krümmt sich vor Schmerzen!« Solche Notfälle, die oft den Schlaf oder Mahlzeiten unterbrachen, waren auf Merinda nicht selten, denn für die Frauen im westlichen Distrikt war es inzwischen selbstverständlich geworden, Joanna Westbrook rufen zu lassen, wenn ärztliche Hilfe notwendig war, und nicht den Arzt aus Cameron Town. Mrs. Westbrook hatte zwar nicht Medizin studiert, aber alle, angefangen von Maude Reed bis zur ärmsten Pächtersfrau, waren sich darin einig, daß Joanna verständnisvoller und behutsamer mit den Kranken umging als die meisten Ärzte.
Joanna und Sarah hatten sich schnell angekleidet und folgten mit dem Einspänner in der Dunkelheit dem Jungen auf dem Pferd. Die Drummonds lebten etwa zwölf Meilen entfernt auf einer armseligen Farm. Es gab dort nur ein kleines Holzhaus, einen halb zerfallenen Stall und die Überreste einer Scherhütte. Mike Drummond mühte sich mit dreißig Morgen Land ab, auf dem er Weizen anbaute und ein paar Schafe hielt; und er hatte acht verwahrloste Kinder im Alter von zehn Jahren bis vier Monaten. Joanna war schon einmal dort gewesen, als Drummond sich betrunken und seine Frau geschlagen hatte.
»Fanny, warum melden Sie das nicht Wachtmeister McManus?« fragte Joanna, als sie sich die Hände wusch, die Ärmel herunterrollte und die Bündchen zuknöpfte. Sie sprach leise, um die Kinder nicht zu beunruhigen, die barfuß, mit laufenden Nasen und erschrockenen Gesichtern vor der offenen Tür standen.
»Er kann nichts dafür«, antwortete Fanny mit geschwollenen und aufgesprungenen Lippen, »ich habe es nicht anders verdient.«
Joanna schüttelte den Kopf. Fanny sagte das jedesmal – »ich habe es nicht anders verdient«.
Welche Ironie, dachte Joanna, diese Männer im Busch wollten unbedingt eine Frau, und die jungen unverheirateten Dinger, die nach Australien kamen, wollten unbedingt einen Mann. Aber solche Ehen schienen nur selten gutzugehen. Die jungen Männer kamen mit der unrealistischen Vorstellung nach Australien, schnell reich zu werden. Wenn ihre Träume langsam zerrannen, weil die Ernten ausblieben, Goldminen ausgebeutet waren, oder sie die Ersparnisse eines Lebens beim Spielen verloren, reagierten sie ihre Enttäuschungen an den unschuldigen Frauen ab. Die jungen Mädchen kamen unwissend und ungebildet aus England, sie wußten wenig vom Leben und ahnten nicht, was es bedeutete, von einer armseligen Farm zu leben. Sie heirateten den ersten Mann, der ihnen große Versprechungen machte. Viele Mädchen nahmen in ihrer Unschuld den Heiratsantrag eines Fremden schon an, wenn sie von Bord gingen. Die Hochzeitsnacht wurde ein Schock und glich oft eher einer Vergewaltigung. Und der Alltag wurde zu einer unentrinnbaren Tretmühle. Kinder, Schulden, Armut und Trunkenheit.
Joanna betrachtete Fannys geschundenes Gesicht. Mike hatte sie diesmal mit den Fäusten bearbeitet. Das hatte er bisher noch nie getan. »Fanny«, sagte sie kopfschüttelnd, »Sie müssen sich das nicht gefallen lassen.«
»Wo soll ich denn hin? Ich habe acht Kinder.« Die junge Frau versuchte zu lächeln. »Es wird von jetzt an schon besser werden«, meinte sie tapfer, »er hat mir versprochen, nicht mehr zu trinken.«
Joanna verließ das Bett und band ihre Tasche zu. Sie
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