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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Wasser sie zu einem geheimen Ort trug. Am Flußufer verwischte Sarah die Symbole, die sie in die Erde gezeichnet hatte. Sie löschte das Feuer und sang das Träumen in das Land zurück. Es war vollbracht: Sie hatte sich verändert.
    Sarah hatte die Einweihung durchgeführt. Sie hatte es allein getan. Ihre Mutter hatte sie nicht durch die Geheimnisse geleitet und sie nicht die Geheimnisse gelehrt. Keine Großmutter hatte ihr das Wissen der Ahnen übergeben, keine Schwestern oder weibliche Verwandten hatten ihren Übergang vom Mädchen zur Frau gefeiert, keine Sippe nahm sie liebevoll in ihre Mitte auf. Deshalb hatte Sarah ihre Einweihung allein vollzogen. Und sie wußte, daß es in dieser Zeit, in diesem Leben so geschehen mußte.
    Sarah ahnte auch, daß es möglicherweise das letzte Ritual ihres Volks war, das sie durchgeführt hatte.
    Als sie an Philip McNeal dachte und an den Ritt hinter ihm auf dem Pferd, während sie die Arme um ihn gelegt und dabei den beruhigenden Schlag seines starken Herzens gespürt hatte, entfernte sie behutsam den Lederbeutel von ihrem Hals. Sie steckte den Knochen vom Bärenrobben-Träumen in ihre Rocktasche. Dann zog sie zum ersten Mal die Schuhe an. Schließlich schob sie das Armband, das Philip McNeal ihr geschenkt hatte, über das Handgelenk.
    Und sie drehte der untergegangenen Sonne den Rücken zu.
    6
    Der Schmerz durchzuckte Joanna von neuem. Wie ein glühendes Band lag er um ihre Hüfte. Die Beine gaben unter ihr nach, und sie fiel auf die Erde. Sie konnte nicht mehr weiter.
    Sie lehnte sich gegen einen Stein und zwang sich, ruhig und langsam zu atmen. Sie schloß die Augen und versuchte, sich von innen zu sehen. Etwas stimmte nicht. Sie wußte alles über eine Geburt. Sie hatte ihrer Mutter geholfen, wenn sie anderen Frauen beim Entbinden als Hebamme zur Seite stand. Joanna wußte, das Baby mußte sich drehen, ehe es kam, aber sie spürte den Kopf noch immer hoch oben. Die Wehen setzten jetzt in kürzeren Abständen ein.
    Joanna lauschte in die Nacht. Sie hörte nur das Rauschen des Wasserfalls und den Wind in den Bäumen. Sie dachte an die Regenbogenschlange, die jeder Ureinwohner ehrte und fürchtete. Sogar ihre Mutter, Lady Emily, hatte sie gefürchtet –, und der Traum hatte Joanna auch die eigene Angst vor der Regenbogenschlange gezeigt. Sie spürte die Geister in den Felsen und in den Bäumen. Sie erwachten um sie herum zu neuem Leben, als wecke Joannas Anwesenheit sie aus einem langen Schlaf. Sie erinnerte sich daran, daß Sarah erzählt hatte, daß Menschen, die eine heilige Stätte entweihten, schreckliches Unheil widerfuhr. Es war tabu, auf einen Stein zu treten, in dem sich ein Geist befand. Man durfte einen Ast nicht einmal berühren, wenn darin ein Geist wohnte. In der alten Zeit, so berichtete Sarah, hatten die Menschen gewußt, wo man gehen durfte, und welchen Steinen und Bäumen man Ehrfurcht erweisen mußte. Joanna wußte nichts über diesen Ort. Niemand hatte ihr etwas Genaues darüber gesagt.
    Sie richtete sich wieder mühsam auf und blieb stehen, während der heftige Schmerz wie Feuer um ihre Hüfte brannte. Sie versuchte zu gehen, aber bei jedem Schritt nahmen die Schmerzen zu. Das Kind kam.
    Dann hörte sie einen Laut, bei dem ihr eiskalt wurde. In der Ferne heulte ein hungriger Dingo.
    Sie erinnerte sich an den Alptraum und stellte fest, daß auch sie plötzlich schreckliche Angst vor wilden Hunden hatte.
    Sie mußte sich in Sicherheit bringen. Der Fluß war gefährlich, die wilden Hunde waren gefährlich. Langsam tastete Joanna sich von Baum zu Baum und blieb stehen, wenn der Schmerz zu heftig wurde. Schweiß bedeckte ihr Gesicht. Die Beine drohten, ihr den Dienst zu versagen.
    Im Wald war es dunkel. Sie konnte kaum etwas sehen. Am Himmel stand nur eine schmale Mondsichel. Joanna sah sich angstvoll in der Dunkelheit um und dachte an die Geschichten, die Sarah ihr von Geistern erzählt hatte, die in der Nacht erschienen. »Wenn die Sonne sinkt«, hatte Sarah gesagt, »erwachen Geister und Gespenster. Sie stehlen kleine Kinder und töten die Alten. Meine Leute wußten, daß man nachts nicht das Lagerfeuer verlassen darf, sondern wachsam zusammenrückt.«
    Joanna war wie gelähmt von den Schmerzen. Ihr Atem ging schnell und keuchend. Sie wünschte, Sarah wäre bei ihr. Sarah kannte die Kräfte, die in der Nacht durch das Land zogen. Sie wußte, wie man sich ihnen gegenüber verhalten sollte.
    Bestimmt würde bald jemand kommen. Sicher machten sich alle

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