Traumzeit
können, betrachtete die Bilder des Jungen und des Mädchens, die hübschen kleinen Blumenvasen auf den Spitzendeckchen und die Bibel auf dem Lesepult. Vom Rindenhaus nebenan hörte man geschäftige Geräusche in der Küche und Kinderstimmen auf der Veranda. Im Vergleich dazu schien Kilmarnock ein Museum zu sein, kein Zuhause, nicht einmal ein Haus, sondern eine Sammlung von Andenken und Reichtümern.
»Ich habe Sie in all den Jahren abgelehnt«, Pauline sah Joanna an, »denn ich dachte, Sie hätten mir Hugh weggenommen. Jetzt erkenne ich, daß er mir im Grunde nie gehört hat. Besonders in dem Jahr nach der Typhusepidemie … habe ich Ihnen sehr gegrollt. Deshalb habe ich etwas getan, worüber ich mich jetzt schäme.«
Joanna konnte Pauline nicht ganz folgen. Seit so langer Zeit bestand eine scheinbar unüberwindliche Kluft zwischen ihnen und plötzlich diese Vertrautheit! Sie spürte, Pauline kündigte ihr ein Geständnis an, aber das alles verwirrte sie so sehr, daß sie nur betroffen schwieg.
»Ich spreche von den fünftausend Morgen Land, die meinem Bruder gehörten«, fuhr Pauline fort, »an der Nordgrenze von Merinda. Ich wußte, Colin wollte das Land haben, weil er über Christinas Tod nicht hinwegkam und sich an Hugh rächen wollte. Ich habe Colin das Land angeboten, weil ich wollte, daß er mich heiratet. Ich wußte nicht, was er damit vorhatte. Ich bedaure sehr, daß Sie und Hugh bei dem Unwetter einen so großen Schaden erlitten haben.«
Joanna sah sie erstaunt an. »Das verstehe ich nicht«, sagte sie leise. »Ich habe gerüchteweise von dieser Rache gehört, aber ich weiß nicht, worum es dabei geht.«
Pauline erzählte Joanna in ihrer direkten Art von der Nacht, in der Christina gestorben war, und daß Hugh erklärt hatte, Joanna werde nach Kilmarnock kommen, wenn sie etwas geschlafen habe. »Ich habe Colin belogen. Ich wußte damals, daß ich Hugh an Sie verloren hatte, und ich habe Sie beide gehaßt. Deshalb sagte ich Colin, Sie hätten es abgelehnt zu kommen und seiner Frau zu helfen.«
»Und als sie starb, machte er Hugh und mich für ihren Tod verantwortlich …«, flüsterte Joanna.
»Ja.«
»Ich verstehe.« Joanna stand auf und ging zum Kamin. Sie strich mit dem Finger über den Sims und nahm sich vor, Peony zu sagen, daß sie wieder einmal vergessen hatte, auch hier Staub zu wischen. »Ich weiß Ihre Ehrlichkeit zu schätzen, Pauline«, sagte sie nach einem kurzen Schweigen. »Es war eine entsetzliche Tragödie. Wir haben bei diesem Unwetter zwei Männer verloren, und beinahe wäre auch Hugh ums Leben gekommen. Für Merinda war es ein schwerer Schlag. Aber wir haben das Unglück überwunden, und Menschen sind manchmal gegen ihre Gefühle machtlos. Ich glaube, wir sollten das alles hinter uns lassen.« Obwohl, dachte sie unglücklich, Draht-Larry und der junge Tom durch Colins Rache nicht mehr am Leben sind.
»Ich werde Ihnen einige sehr persönliche Fragen stellen müssen«, fuhr Joanna fort und kehrte zu ihrem Sessel zurück. Sie würde später über Paulines Geständnis in Ruhe nachdenken – später, wenn sie wieder allein war. Dann würde sie auch entscheiden müssen, wann und wie sie Hugh darüber berichtete, oder ob sie besser schwieg.
»Sie können mich alles fragen, was Sie wollen.«
»Lieben Sie und Ihr Mann sich oft?«
Lieben,
dachte Pauline, wir schlafen miteinander, wir haben Sex. Liebe ist dabei nicht im Spiel. »Wir schlafen einmal in der Woche zusammen«, antwortete sie.
»Für eine Empfängnis ist manchmal die Position wichtig. Liegen Sie dabei auf dem Rücken?«
Pauline stieg die Röte in die Wangen. Nicht einmal die Ärzte hatten so intime Einzelheiten wissen wollen. »Ja«, sagte sie.
Joanna stellte noch weitere Fragen: Stand Pauline anschließend sofort auf? Wusch sie sich hinterher? Hatte sie die Gewohnheit, regelmäßig hygienische Spülungen durchzuführen? Dann erklärte sie Pauline, wie wenig man im Grunde über den weiblichen Körper und den geheimnisvollen Vorgang der Fortpflanzung wußte.
Joanna hatte in Melbourne ein Buch mit dem Titel:
Moderne Gynäkologie
gekauft. Ein bekannter amerikanischer Arzt hatte es bereits 1876 geschrieben, und er wies auf die Entdeckung des menschlichen Ovums im achtzehnten Jahrhundert hin. Der Autor erklärte, die Eizelle unterliege möglicherweise einem periodischen Zyklus, und dieser Zyklus stehe vermutlich in Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus. Der Arzt ging sogar noch einen Schritt weiter mit der radikalen
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