Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
lebte.
    Joanna entfaltete den blaßblauen Briefbogen, der trotz der vielen tausend Meilen, die er zurückgelegt hatte, schwach nach Lavendel duftete. Mit kleiner, gestochener Handschrift stellte Mrs. Elsie Dobson sich als eine Witwe vor, die Millicent Barnes gegenüber auf der anderen Seite des Dorfangers lebte. Die beiden hatten sich seit beinahe sechzig Jahren gekannt. Sie fuhr fort, es sei ihre traurige Pflicht zu berichten, daß Millicent im Alter von siebzig Jahren friedlich und im Schlaf gestorben sei.
    ›Ich war ihre beste Freundin‹, schrieb Mrs. Dobson, ›und da ich sie in ihren letzten Tagen, als sie nach einem Schlaganfall ans Bett gefesselt war, gepflegt hatte, hinterließ sie mir alles, und das war sehr wenig. Als ich es endlich über mich brachte, ihre Sachen durchzugehen, fielen mir Ihre Briefe in die Hand, Mrs. Westbrook. Millicent hat sie alle aufbewahrt.
    Es tut mir leid, daß Millicent Sie und Ihre Mutter so unglücklich machte, indem sie Ihre Fragen nicht beantwortete. Sie war keine böse Frau. Aber sie hat es nie völlig verwunden, daß sie ihre Schwester an John Makepeace ›verloren‹ hatte, wie sie es ausdrückte. Und als Emily später Petronius Drury heiratete und mit ihm nach Indien ging, fühlte Millicent sich noch einmal verlassen. Aber ich glaube, nachdem sie nun hinübergegangen ist, werde ich niemandem schaden, wenn ich versuche, Ihre Fragen zu beantworten.
    Millicent und ihre Schwester waren zwar Zwillinge, aber sehr verschieden. Naomi, Ihre Großmutter, war so fröhlich, so optimistisch, und sie war die Stärkere der beiden. Millicent erschien mir immer als das genaue Gegenstück. Sie war verschlossen, schwermütig und, offen gesagt, recht schwach. Die beiden Schwestern waren unzertrennlich. Aber als Naomi sich in John Makepeace verliebte und mit ihm in das fremde Land fuhr, sagte Millicent, das werde sie ihr niemals vergeben.‹
    Joanna stellte fest, daß es im Zimmer dunkel wurde. Die Sonne war untergegangen, und sie hörte durch die geschlossene Tür des Schlafzimmers, daß Mrs. Jackson, die Köchin, Peony beauftragte, den Tisch zu decken. Die Glastüren zur Veranda standen offen, und mit dem warmen Abendwind drang lautes Gelächter vom Hof herein, wo die Scherer ihr Handwerkszeug für den Tag zusammenpackten.
    Sie zündete eine Lampe an und griff wieder zu Mrs. Dobsons Brief. ›Ich erinnere mich an den Tag, Mrs. Westbrook, an dem Ihre Mutter hier ankam‹, schrieb sie. ›Zufälligerweise besuchte ich Millicent an diesem Tag. Das muß wohl vor fünfundvierzig Jahren gewesen sein, denn ich weiß noch, daß ich den kleinen Raymond, mein erstes Kind dabei hatte, um ihn Millicent zu zeigen. Ich erinnere mich, daß wir Tee tranken, als wir durch Klopfen an der Tür gestört wurden. Ein höchst außergewöhnlicher Mann kam herein, ein Schiffskapitän. Er hatte ein Kind bei sich, und er erzählte uns eine geradezu phantastische Geschichte.‹
    Während Joanna Mrs. Dobsons Bericht las, stellte sie sich die Odyssee ihrer Mutter vor – von Australien nach Singapur und von dort nach Southampton. Dabei hatte sie Monate nur in Gesellschaft von Seeleuten auf hoher See verbracht. Das Kind, das auf Millicents Türschwelle erschien, war beinahe fünf Jahre alt gewesen. Seine Haut war dunkel gebräunt, die Haare hingen ihm bis über die Hüften, und über dem Kleid trug es eine dunkelblaue Seemannsjacke und eine Matrosenmütze. Außer den Geschenken der Matrosen hatte die Kleine nur eine Ledertasche bei sich. Darin befanden sich Papiere und eine merkwürdige Puppe aus Fell, die das Mädchen Rupert nannte.
    ›Der Kapitän konnte uns nicht sagen, wie Emily an die australische Küste gekommen war, wo das erste Schiff sie an Bord genommen hatte. Der Brief, den sie bei sich trug, erklärte nur wenig. Wir sahen nur, daß er in großer Eile geschrieben worden war.‹
    Mr. Dobson fuhr fort, in dem Brief habe nichts anderes gestanden als: ›Das ist Emily Makepeace, die Tochter von John und Naomi Makepeace und Nichte von Millicent Barnes. Bitte liefern Sie Emily in Crofters Cottage, Bury St. Edmunds, England ab. Man wird Sie dafür belohnen.‹
    Joanna versuchte, sich die Umstände der verzweifelten Flucht aus Australien vorzustellen. Wer hatte das kleine Mädchen zur Küste gebracht und den Behörden übergeben? Eine Frau namens Reena? Weshalb hatte sie Emily nicht nach England begleitet, oder war es ihr nicht möglich gewesen? Und was war danach mit John und Naomi geschehen?
    Sie las

Weitere Kostenlose Bücher