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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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auch bei Tag zum Schreckgespenst. Ezekial sah sich sogar veranlaßt, Hugh zu warnen. Hatte er die anderen Farmer ebenfalls vor den Dingos gewarnt oder galt seine Warnung speziell Merinda – ihr und möglicherweise Lisa? Joanna hatte den Dingozahn gesehen, den der alte Fährtensucher Lisa geschenkt hatte. Sie fragte sich, ob dahinter mehr steckte, oder ob es sich einfach um einen Talisman handelte, wie Ezekial erklärt hatte.
    Joanna blickte auf die wenigen Seiten, die noch zu übertragen waren, und betete, daß der Schlüssel zu dem Geheimnis darin verborgen lag.
    Sie griff nach dem Federhalter und nahm die Arbeit wieder auf. ›Ich mache mir Sorgen um Naomi‹, hatte John Makepeace vor beinahe fünfzig Jahren geschrieben. ›Ich fürchte, meine Frau fängt an, sich zu verändern. Etwas Seltsames scheint mit ihr vorzugehen.‹
    Joanna wurde plötzlich hellwach. Nach seitenlangen Berichten über das Leben der Männer in Djoogals Sippe – er beschrieb ausführlich, wie die Ureinwohner jagten, wie sie Speere und Bumerangs anfertigten, schilderte ihre Rituale und gab ihre Geschichte wieder – änderte sich plötzlich der Ton der Aufzeichnungen. Joanna las schneller.
    ›Naomi blüht hier auf, während meine Selbstzweifel wachsen. Noch schlimmer ist, daß sie behauptet, meine Beobachtungen der Aborigines und ihrer Kultur seien einseitig, weil ich dabei die Frauen auslasse.
    Naomi behauptet, die Frauen der Ureinwohner besitzen den gleichen Status wie die Männer. Ich gebe zu, daß Frauen innerhalb der Sippe eine große Bedeutung haben. Das ist mir nicht entgangen. Die Männer gehen zwar gelegentlich auf die Jagd, aber die Frauen sammeln die tägliche Nahrung. Die Frauen entscheiden sogar selbst in allen Fragen der Fortpflanzung und Sexualität. Das Hochzeitsritual ist sehr einfach: Eine Frau erklärt den Mann ihrer Wahl zu ihrem Ehemann. Das Leben der Frauen kreist nicht nur um das Gebären und Aufziehen der Kinder, während die Männer in allen anderen Bereichen ihres Lebens den Ton angeben. Im Gegenteil, alle lebenswichtigen Entscheidungen der Sippe werden von Männern und Frauen gemeinsam und gleichberechtigt getroffen.
    Folgt die Sippe einem Traumpfad, übernehmen manchmal die Männer die Führung, und die Frauen folgen, dann wieder ist es umgekehrt. Ich spreche jedoch ausschließlich vom Alltag. Ich sehe nicht, daß den Frauen eine größere religiöse oder geistige Bedeutung zukommt; soweit ich feststellen kann, liegt diese Macht bei den Männern.
    Naomi bestreitet das‹, hatte Makepeace hinzugefügt. ›Sie sagt, die Frauen haben eigene Rituale, bei denen Männer nicht zugelassen sind. Sie sagt, es gibt Frauenrituale, und sie seien in vieler Hinsicht wichtiger und machtvoller als die der Männer, denn es gehe dabei um Fruchtbarkeit und Geburt, das heißt also, um die Lebenskraft, um den Fortbestand der Sippe. So hat sie mir zum Beispiel erzählt, daß die Rituale aus Anlaß der ersten Menstruation eines Mädchens sehr viel umfangreicher und vielschichtiger sind, eine größere Geheimhaltung verlangen und mit sehr viel mehr Tabus belegt sind als die Initiationsriten der jungen Männer. Wie Naomi sagt, wissen diese Menschen anscheinend nicht, daß der Samen des Mannes zur Schwangerschaft einer Frau führt. Sie glauben an ›Geist-Kinder‹. Das heißt, eine Frau läuft über eine bestimmte Stelle, und der Kind-Geist, der geboren werden will, springt in sie. Aus diesem Grund gehören für die Ureinwohner Australiens Geburt und Leben – die Macht und Magie vom Werden des Lebens – ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Frauen, und ihre geheimen Riten kreisten in erster Linie um diese Geheimnisse.
    Naomi sagt, weiße Beobachter nehmen von den geheimen Ritualen der Frauen keine Notiz, sondern richten ihre Aufmerksamkeit nur auf die Rituale der Männer und ziehen daraus die falsche Schlußfolgerung, daß nur die Männer der Aborigines Spiritualität besitzen. Der Grund für dieses Mißverständnis liegt darin, daß es sich bei den Beobachtern um Männer handelt, wie ich es bin, und daß ihnen deshalb nur erlaubt ist, etwas über die Angelegenheiten der Männer zu erfahren. Das Ergebnis, so meint sie, ist eine einseitige Beschreibung dieser Kultur.
    Vermutlich sollte ich froh darüber sein, daß ich eine Frau habe, die Freundinnen unter den Frauen der Sippe gefunden hat, und der man inzwischen erlaubt, bei einigen der streng geheimen Rituale anwesend zu sein, ja sogar daran teilzunehmen. Aber Naomi

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