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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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über sie hatte, ist geschwunden. Vielleicht war es ein Fehler von mir, sie hierher zu bringen. Naomi hat inzwischen eine Unabhängigkeit entwikkelt, die mir überhaupt nicht gefällt, denn sie ist unweiblich. Ich erinnere sie daran, daß ich hierher gekommen bin, um diese Menschen zu beobachten und ihre Sitten und Gebräuche aufzuzeichnen. Deshalb ist es ihre Pflicht, mich in alles einzuweihen, was sie erfährt. Meine bezaubernde Naomi, die einmal so nachgiebig, so folgsam war, ist inzwischen ebenso eigensinnig wie die Frauen, mit denen sie auf Nahrungssuche geht. Und die kleine Emily ist bereits mit dreieinhalb Jahren ein sehr eigenwilliges Kind.
    Was, so frage ich mich, werden die Frauen morgen tun?‹
    *
    Lisa lief durch den Wald und rief nach Knopf. Er war noch nie grundlos davongelaufen.
    Als Lisa ihn endlich auf einer Lichtung entdeckte, rief sie: »Knopf! Du bist richtig ungezogen. Du bist schuld daran, daß ich im Nachthemd hier herumlaufe.«
    Lisa blieb plötzlich stehen. Etwas bewegte sich im Unterholz, ganz in der Nähe. Sie blickte angestrengt in die Dunkelheit. Etwas Unheimliches tauchte aus den Schatten auf. Sie sah den knochigen Körper, die aufgerichteten spitzen Ohren, den kurzen buschigen Schweif und das helle Fell. Es war einer der wilden, wolfsähnlichen Hunde – ein Dingo, wie die Aborigines sie nannten.
    Nein, es waren zwei, ein kleinerer und ein größerer.
    Der alte blinde Knopf, der seinem Geruchssinn und seinen Instinkten folgte, stellte sich zwischen das Mädchen und die Dingos. »Ist ja gut …«, sagte Lisa kläglich. Sie hatte plötzlich schreckliche Angst.
    *
    Die Nacht umhüllte Joanna mit ihrer Dunkelheit und versetzte sie in eine andere Zeit. Sie schrieb nicht mehr, sondern las die Aufzeichnungen ihres Großvaters im Schein der Lampe.
    ›Naomi hat heute am frühen Morgen, noch vor dem Hellwerden das Lager verlassen und Emily in Reenas Obhut gegeben. Sie ist mit den anderen Frauen an einen geheimen Ort gegangen, um sich für das Ritual vorzubereiten. Die Männer des Stammes sind voller Unruhe und Geschäftigkeit – sie gehen auf die Jagd, bereiten das große Festmahl vor, das am Abend stattfinden soll, sie tanzen und singen. Seltsamerweise scheint es die Männer nicht zu verstimmen, daß sie von diesem entscheidenden Ritual ausgeschlossen bleiben. Es gibt hier keine Priester, keine Bischöfe oder Kardinäle. Diese wichtigste Zeremonie des Stammes wird von ganz gewöhnlichen Frauen durchgeführt, die keinen besonderen Status oder Titel haben. Es sind Mütter mit Töchtern. Das Ritual ist für Männer tabu – sie dürfen nicht daran teilnehmen, und sie dürfen nicht einmal wissen, was dabei geschieht. Kein Mann hat es je gesehen. Was tun die Frauen im. Innern des Berges? Ich habe die barbarischen Beschneidungsriten der Jungen erlebt und kann mir nur vorstellen, welchen unaussprechlichen Praktiken sie ihre Töchter unterziehen, von denen viele noch kleine Mädchen sind.
    Ich bin auf der Suche nach dem zweiten Garten Eden hierher gekommen. Die neue Wissenschaft, die unsere Zeit besudelt – mit ihrem sogenannten Beweis, daß Gott die Welt nicht geplant und erschaffen hat –, diese Wissenschaft, die angeblich das Wort Gottes widerlegt, indem sie die Bibel als ein Buch ›voller Mythen und Geschichten‹ abtut, diese Wissenschaft muß um jeden Preis widerlegt werden. Ich bin hierher gekommen, um zu zeigen, daß die heilige Bibel einer empirischen Analyse standhält. Ich werde dafür sorgen, daß man die Wahrheit mit den gleichen wissenschaftlichen Methoden beweisen kann, die die biblische Wahrheit als falsch überführen sollen.
    Ich bin gekommen, um das zweite Eden zu suchen – einen Ort, an dem Gott ein anderes ›erstes‹ Paar geschaffen hat, das nicht von der verbotenen Frucht der Erkenntnis aß und deshalb weiterhin in Unschuld leben durfte. Die Ureinwohner kennen keine Scham wegen ihrer Nacktheit oder ihrer Sittenlosigkeit. Sie sind genau so, wie Gott sie geschaffen hat.
    Aber jetzt erkenne ich meinen Irrtum. Das hier ist kein zweites Eden, es ist einer von Gottes Fehlern. Hier wird die Schlange angebetet, und es fehlt das Wissen um Gott. Diese Wilden verehren Steine und Flüsse und Tiere. Aber von unserem HERRN haben sie keine Kenntnis.
    Gott möge mir verzeihen, ich habe mich geirrt! Ich habe mich wahrhaftig geirrt! Nun ist meine süße Naomi dicht davor, in die Sünden der Wilden mit hineingezogen zu werden, sie verläßt den Pfad der Rechtschaffenheit. Und ich

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