Traumzeit
Weihnachtslieder und machten dann in seinem Zweispänner eine Spazierfahrt. Frank hätte sich mehr gewünscht, aber er wußte, er durfte nichts erzwingen. Er unterhielt sich mit Ivy über Kricket und die Sieger des Pferderennens um den Melbourne Cup. Sie sprachen über das Wetter und über das Ende des Krieges zwischen Franzosen und Preußen in Europa. Als er sie in die Pension zurückbrachte und fragte, ob er sie zu einem Picknick einladen dürfe, hatte sie zugestimmt.
Das Picknick sollte an diesem Wochenende stattfinden. Aber jetzt sah alles anders aus.
Frank schob die Vermieterin energisch zur Seite, die empört erklärte: »Keine Herrenbesuche! Das ist ein anständiges Haus!«, und nahm zwei Stufen auf einmal. Er klopfte an Ivys Tür und begann schon zu sprechen, noch ehe sie richtig aufgemacht hatte: »Im Distrikt ist Typhus ausgebrochen«, sagte er. »Ich möchte, daß Sie hier im Haus bleiben. Gehen Sie auf keinen Fall in Finnegans Pub. Versprechen Sie mir, das Haus erst wieder zu verlassen, wenn die Gefahr vorüber ist.«
Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Ich komme wieder vorbei und schaue nach Ihnen.«
Drei Tage später trafen in Cameron Town aus einem Umkreis von achtzig Meilen Berichte über Typhusfälle ein. Niemand wußte, warum die Krankheit ausgebrochen war.
Panik erfaßte den westlichen Distrikt. Keine Familie blieb von der Epidemie verschont. Auf Glenhope glühte Maude Reed im hohen Fieber, während John Reed sich mit großen Mengen Whiskey zu schützen versuchte. Auf Strathfield zündete man Kerzen an, und die Ormsbys knieten in der Familienkapelle und beteten rund um die Uhr Rosenkränze. Auf Kilmarnock verschloß Colin MacGregor alle Türen und Fenster. Er wies jeden Besucher ab, denn er glaubte wie die meisten anderen, Typhus werde durch die Luft übertragen.
Als Dr. Ramsey und Doc Fuller den vielen flehenden Hilferufen nicht mehr nachkommen konnten, wandten sich die Leute an Joanna Drury. »Sie hat das Sommerfieber meiner Kinder geheilt«, sagte Winifred Cameron ihren Freundinnen. »Und erinnert ihr euch noch, wie sie Christina MacGregor bei der morgendlichen Übelkeit geholfen hat?« ergänzte Louisa Hamilton.
Ängstliche und aufgeregte Leute erschienen auf Merinda und holten sich bei Joanna Rat. Mit Hilfe der Aufzeichnungen ihrer Mutter gab sie allen Anweisungen. Das hohe Fieber sollte man durch kalte, feuchte Tücher senken; die Patienten mußten viel trinken und durften nur flüssige Nahrung zu sich nehmen; der Bauch mußte auf Schwellungen untersucht werden; Wasser und Milch mußten vor dem Trinken abgekocht sein. Sie versicherte den Frauen, der Wind sei nicht für eine Typhusinfektion verantwortlich, und frische Luft im Krankenzimmer sei nur zu empfehlen.
Dr. Ramseys Einspänner fuhr pausenlos über die Landstraßen. Er eilte zu allen, die ihn riefen, diagnostizierte Typhus, injizierte Digitalis bei Patienten mit Herzschwäche, hinterließ bei den noch Gesunden Pflegeanleitungen und fuhr mit dem schrecklichen Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit wieder davon. Er mußte einsehen, daß ein Arzt angesichts einer solch verheerenden Krankheit nicht mehr helfen konnte als jeder andere auch. Trotz abgekochtem Wasser und hingebungsvoller Krankenpflege breitete sich die Epidemie immer weiter aus. In ihm regten sich Zweifel.
Als er neun Tage nach Weihnachten auf Merinda erschien, fand er Joanna in der provisorischen Krankenstation. Sie pflegte inzwischen zehn schwerkranke Männer.
David blieb in der Tür stehen und beobachtete sie. Joanna schob gerade einen Arm unter die Schulter eines Mannes und gab ihm etwas zu trinken. Ramsey fand, daß sie trotz Erschöpfung und Müdigkeit, trotz der gelösten Haarsträhnen und der Schürze aus Sackleinen schön aussah. »Larry!« rief sie, als der Patient anfing, im Fieber um sich zu schlagen. »Bitte helfen Sie mir mit John.«
Als der Patient sich beruhigt hatte, hob Joanna den Kopf und lächelte Ramsey an.
»Guten Tag, David«, sagte sie, schob sich die Haare aus der Stirn und kam zu ihm. »Wie geht es Ihnen?«
»Mir geht es gut, Joanna. Und Ihnen? Was macht Adam?«
»Er ist gesund, Gott sei Dank!«
»Joanna, ich muß mit Ihnen sprechen.«
»Gut. Ich muß nur noch die Wasservorräte im Kochhaus überprüfen. Begleiten Sie mich?«
»Ich bin nicht sicher, ob wir das Richtige tun, Joanna«, sagte Ramsey, als sie in der glühenden Hitze den Hof überquerten. »Wir pflegen die Kranken, und sie haben jetzt schon drei Wochen oder noch
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