Traumzeit
seiner Burg den Verlust seiner Frau Christina betrauerte.
3
›Mein lieber Mr. Westbrook‹, schrieb Joanna, ›wenn Sie diesen Brief erhalten, bin ich schon auf dem Weg nach Melbourne.‹
Sie machte eine Pause und blickte auf die Postkutsche, die zur Abfahrt bereitgemacht wurde. Sie saß mit anderen Fahrgästen vor dem Fox und Hounds Gasthof und wartete darauf, die Kutsche zu besteigen. Das Gepäck wurde auf dem Dach verzurrt. Joannas Koffer war als erster hinaufgehoben worden.
Sie schrieb weiter: ›Da wir beide wissen, daß ich nicht auf Merinda bleiben kann, wenn Sie verheiratet sind, habe ich beschlossen, jetzt zu fahren und uns einen schwierigen Abschied zu ersparen. Auf Sie wartet ein neues Leben, und ich muß dem Ziel meiner Reise nach Australien näher kommen. Vielleicht war ich nicht für die Ereignisse auf Merinda verantwortlich – für den Tod der vielen guten Menschen –, aber ich weiß, ich befinde mich unter dem Einfluß von Kräften, denen ich nicht gewachsen bin. Ich habe meiner Mutter versprochen, und ich schulde es meinen künftigen Kindern, daß ich herausfinde, was auf unserer Familie lastet, und ich muß versuchen, mich von dieser Last zu befreien.‹
Sie machte wieder eine Pause und dachte an Hugh – wie er sie am Fluß in die Arme genommen hatte, wie das Leben plötzlich durch ihren Körper geströmt war. Wie stark hatte sie sich in diesem Augenblick gefühlt, erfaßt von der Hitze seines Körpers, von dem ersten Kuß, den Küssen später …
Dann dachte sie: Ich bin nicht hierhergekommen, um mich zu verlieben und um Wurzeln zu schlagen, sondern um mein Erbe zu finden, um Karra Karra zu finden. Ich will die Dämonen befrieden, die die Frauen der Drurys mit ihrem Zorn verfolgen.
Joanna versuchte, sich klarzumachen, was sie als nächstes tun mußte. Fünf Monate der Suche hatten sie Karra Karra oder dem Geheimnis der Aufzeichnungen ihres Großvaters nicht näher gebracht. Mr. Asquith, der zum Leiter des Amts für Angelegenheiten der Aborigines ernannt worden war, hatte geantwortet. Joanna hatte gehofft, er wisse etwas über die Einheimischen und könne ihr Informationen geben. Aber wie sich herausstellte, war Mr. Asquith ein Bankier, der seine Stellung aus politischen Gründen erhielt. Er hatte noch nie eine Aborigines-Mission oder eines ihrer Dörfer besucht. Das Grundbuchamt in Melbourne konnte ihr ebenfalls nicht helfen. Die Grundstücksurkunde enthalte nicht genug Einzelheiten, hatte man ihr mitgeteilt, um das Land ausfindig zu machen. Von Patrick Lathrop in Amerika, der ihren Großvater einst gut kannte, hatte sie bisher nichts gehört.
Joanna mußte wieder von vorne anfangen und nach neuen Anhaltspunkten, nach neuen Hinweisen suchen, die sie auf die richtige Spur bringen würden.
Sie setzte den Brief fort: ›Mr. Westbrook, ich verlasse Merinda sehr, sehr traurig. Aber es gibt keinen Grund mehr für meine Anwesenheit, denn Adam befindet sich auf dem Weg der Besserung. An jenem Abend, als Sie mich am Fluß fanden, konnten Sie Adam erklären, daß er nicht für den Tod seiner Mutter verantwortlich ist, und daß er sie nicht hätte retten können. Von diesem Augenblick an setzte bei ihm die Heilung ein. Sarah – und Sie und Miss Downs – werden ihm helfen, alles Restliche noch zu überwinden.
Ich werde die Zeit auf Merinda nie vergessen. Auch Sie werde ich bestimmt nicht vergessen. Ich wünsche Ihnen für Ihr ganzes Leben Gesundheit und Glück.‹
»So, Miss«, sagte der Kutscher, »wir können losfahren.«
Joanna verschloß den Umschlag und warf den Brief in den Kasten. Dann nahm sie mit den anderen Fahrgästen in der Kutsche Platz. Die Leute winkten zum Abschied, die Kutscher ergriffen die Zügel, und der Wagen setzte sich in Bewegung.
Während die anderen Mitreisenden sich gegenseitig vorstellten, über die Hitze klagten und beteuerten, welch ein Segen es sei, daß die Typhusepidemie endlich überwunden war, blickte Joanna aus dem Fenster und verabschiedete sich stumm von der vertrauten Landschaft, die sie vielleicht nie wiedersehen würde. Sie überlegte: Vielleicht komme ich irgendwann einmal zurück und werde sehen, wie sich Adam entwickelt hat und was aus Sarah geworden ist – und aus Hugh.
Die Kutsche blieb plötzlich stehen. Draußen hörte man Stimmen, und einer der Fahrgäste sagte: »Jemand, der zu spät gekommen ist.« Eine ältere Frau stöhnte: »Aber es ist doch kein Platz mehr frei.«
Die Tür wurde aufgerissen, und Joanna sah Hugh draußen
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