Traveblut
Buthmanns.
»Ich bring dich nach Hause. Keine Widerrede. Ich bin Polizist und ich weiß, dass es gefährlich ist, nachts allein durch die Stadt zu laufen.«
Sie lachte und machte keinerlei Anzeichen, sein Angebot auszuschlagen. Vor ihrer Wohnung in der Engelsgrube blieben sie stehen und blickten sich an.
»Ich habe eine neue Kaffeemaschine«, sagte Ida-Marie.
Andresen sah sie irritiert an, verstand dann jedoch die Anspielung und musste schmunzeln.
»Wenn du willst, kannst du gerne noch mit hochkommen.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Lange mache ich aber nicht mehr. Ich muss morgen früh raus.«
»Selbstverständlich«, entgegnete Andresen und folgte ihr.
20
Er hatte bereits geahnt, dass es so kommen würde, als er die Treppen zu ihrer Wohnung hinaufgestiegen war. Eigentlich gab es so etwas doch immer nur in Filmen, nicht im wirklichen Leben. Aber es hatte sich verdammt real angefühlt.
Andresen hatte es nicht bereut, dass es nicht nur bei einer Tasse Kaffee geblieben war. Die Nacht mit Ida-Marie war wunderschön gewesen. Am nächsten Morgen hatten sie noch zusammen gefrühstückt, ehe er sich von ihr verabschiedete. Ida-Marie hatte ihn angelächelt und ihm einen Kuss auf die Wange gegeben.
»Ich fand es sehr schön«, hatte sie gesagt.
»Ich auch«, hatte er geantwortet.
Dann war er gegangen. Pfeifend war er durch die noch leeren Gassen Lübecks gezogen. Getragen von einem Hochgefühl. Er hatte geduscht und war dann ins Präsidium gefahren. Doch auf der Fahrt war die Euphorie plötzlich umgeschlagen. Das schlechte Gewissen hatte sich mit einer solchen Wucht gemeldet, dass er rechts ranfahren und sich erst einmal beruhigen musste. Fassungslos über sich selbst und sein Verhalten schossen Gedanken und Konsequenzen durch seinen Kopf. Was um Himmels willen hatte er bloß getan?
So früh am Morgen hatte Andresen schon seit Monaten nicht mehr an seinem Schreibtisch gesessen. Die Müdigkeit, die nach der kurzen Nacht von Glückshormonen verdrängt worden war, kehrte schlagartig zurück. Am Automaten im Flur zog er sich einen doppelten Espresso und schleppte sich zurück in sein Büro.
Mühsam versuchte er, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Er musste dringend mit den Kollegen sprechen, um sich abzustimmen und die neuesten Informationen auszutauschen. Andresen nahm sich einen Zettel und schrieb noch einmal die wichtigsten Eckdaten des Falls auf. Es fiel ihm leichter, neue Ansatzpunkte zu finden, wenn er die Fakten ab und zu auf Papier brachte.
Gegen neun ging er in den Besprechungsraum. Die anderen warteten bereits. Auch Ida-Marie war schon da. Sie wich seinem Blick aus und setzte sich ans andere Ende des großen Besprechungstischs.
»Wir haben neue Erkenntnisse.« Andresen berichtete ausführlich von seinem Besuch an der Grundschule und dem Gespräch mit der Schulleiterin.
Die Stimmung im Raum war angespannt, das Ermittlungsteam hoch konzentriert, während er seine Vermutungen hinsichtlich des Mordmotivs äußerte. »Ich bin mir sicher, dass der Fall etwas mit dieser Schule zu tun hat. Alle haben zur gleichen Zeit dort unterrichtet. Das zeigt auch dieses Foto, das ich bei Eva Matthis entdeckt habe.« Er reichte das Bild herum.
»Zu viele Zufälle …«, murmelte Kregel.
»Richtig«, sagte Andresen. »Eine grundlegende Frage stellt sich mir allerdings noch immer. Hanka Weichert hat ausgesagt, sie würde Katharina Kock nicht kennen. Das ergibt keinen Sinn.«
»Du hast doch erwähnt, dass Katharina Kock nur vertretungsweise an der Schule war«, sagte Kregel. »Vielleicht konnte sich die Weichert einfach nur nicht mehr an sie erinnern?«
»Mag sein, aber wir müssen das genau überprüfen. Hanka Weichert steht ohnehin auf meiner Liste der Leute, die uns bislang nicht die ganze Wahrheit erzählt haben. Wie war dein Gespräch mit ihr?«
»Wir hatten einen Termin vereinbart, aber sie war nicht zu Hause. Wir werden sie jetzt vorladen und mit den neuesten Erkenntnissen konfrontieren.«
Andresen nickte und verzog den Mund.
Wieder kam ihm der Gedanke, dass mit Hanka Weichert etwas nicht stimmte. Nachdenklich fasste er in seine hintere Hosentasche und zog den Brief hervor, den Eva Matthis im Präsidium abgegeben hatte. Er hatte noch immer am Empfang gelegen, was ihn zu einem Wutausbruch gegenüber der jungen Kollegin veranlasst hatte, die es versäumt hatte, ihn an das Kommissariat weiterzuleiten.
»Was mich momentan am meisten interessiert, ist die Frage, wer diesen Brief geschrieben hat.«
Weitere Kostenlose Bücher