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Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut
Autoren: Jobst Schlennstedt
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auch bei ihr gewirkt. Im Nachhinein hatte er sich ge- ärgert, es nicht vorher schon an Tieren getestet zu haben. Dann wäre ihm dieses Missgeschick mit Hanka Weichert möglicherweise erspart geblieben.
    Er war hinunter zum Kanal geschlichen. Die Katze hatte er in seinem Rucksack verstaut. Nachdem er so lange gewartet hatte, bis er sicher sein konnte, dass er ungestört war, hatte er sie herausgeholt und an die Uferkante getragen.
    Als er sie davontreiben sah, hatte er darüber nachgedacht, ob er im Laufe der Jahre krank im Kopf geworden war. Vielleicht bezeichneten ihn manche sogar als irre oder gar pervers. Was würde er diesen Leuten antworten? Möglicherweise die Wahrheit, auch wenn sie so schmerzvoll war.
    Die Wahrheit war ganz einfach und doch so schwierig. Natürlich war er krank. Nicht krank von Geburt an, sondern krank geworden. Krank gemacht worden, ohne dass jemand Kenntnis davon genommen hatte.
    Ein Drittel der Flasche war bereits leer. Sein Rachen brannte. Er musste vorsichtig sein. Aber die Sucht war groß. Die Verführung des Vergessens. Wenn das Gefühl doch nur ewig anhalten würde. Das war sein größter Wunsch: die bösen Geister vertreiben. Es war ihm nie gelungen. Immer waren sie zurückgekehrt. Aber eines hatte er sich fest vorgenommen: Morgen würde er sie ein für alle Mal zur Hölle jagen.
    Er spürte, dass er zunehmend Probleme hatte, sich auf dem Sessel zu halten. Immer wieder sackte er zur Seite und verlor das Gleichgewicht. Er musste aufhören mit der Sauferei, andernfalls wäre alles umsonst gewesen.
    Plötzlich musste er wieder an die Katze denken. Es tat ihm leid, dass er sie getötet hatte. Er verspürte mit einem Mal eine tiefe Traurigkeit. Warum nur hatte er das gemacht? Die Katze hatte ihm nichts getan, ein unschuldiges Leben hatte er ohne mit der Wimper zu zucken zerstört. Alles nur wegen seines unbändigen Hasses auf diese Frau.
    Von Minute zu Minute verlor er mehr die Kontrolle über sich. Es gelang ihm nicht mehr zu unterscheiden zwischen dem, was seiner Ansicht nach notwendig war, und dem, was seiner Krankheit geschuldet war.
    Er stand auf und wankte durchs Zimmer. Mit der linken Hand umklammerte er die Flasche Absinth. Ein letzter Schluck, das musste genügen. Morgen musste er einen klaren Kopf haben. Sein halbes Leben lang hatte er auf diesen Tag gewartet. Nur er zählte in diesem Augenblick. Schließlich wusste er nicht einmal, ob es ein Übermorgen für ihn gab.
    Im nächsten Augenblick sackten seine Beine weg. Er taumelte, dann fiel er vornüber auf den harten Fliesenboden.

24

    Der gestrige Abend hatte Andresen zugesetzt. Körperlich ging er seit seinem Sturz ohnehin auf dem Zahnfleisch. Aber die Explosion des Bootes und der Unbekannte, der geflüchtet war, hatten ihm den Rest gegeben.
    Er kam kaum aus dem Bett, zog sich stattdessen immer wieder die Decke über den Kopf. Aber sein Wecker war erbarmungslos. Ein Blick auf die Digitalanzeige zeigte ihm, dass es bereits acht Uhr war. Er musste los. Ein Haufen Arbeit wartete auf ihn. Die Verhöre von Dieter Lohberg, dessen Sohn Piet und dem Taxifahrer standen an. Und nicht zuletzt ein weiteres Gespräch mit Hanka Weichert. Über allem schwebte seit gestern Abend außerdem der Name Jimmy Vosberg. Der damalige Schüler der Blücher-Schule, der womöglich der »Bengel« war, über den Brigitte Jochimsen in ihrem Tagebuch geschrieben hatte.
    Angekommen im Präsidium stand Andresen gedankenverloren am Kaffeeautomaten, als ein junger Mann aus dem Fahrstuhl trat und auf ihn zukam.
    »Möchten Sie zu mir?«
    »Wenn Sie Kommissar Andresen sind?«
    Andresen nippte an seinem Kaffee und musterte den Mann. »Ja, das bin ich. Was kann ich für Sie tun?«
    »Mein Name ist Jens Schröder. Ich komme wegen des Einbruchs in unserer Firma. Sie hatten bislang mit meinem Chef, Herrn Ensink, zu tun.«
    Andresen nickte seufzend. Ensink und die Sache mit dem Einbruch fehlten ihm gerade noch. Er versuchte, den jungen Mann abzuwimmeln. »Ist es sehr dringend? Oder kann Ihnen vielleicht auch ein Kollege …?«
    »Es ist dringend«, unterbrach ihn Schröder. »Mein Job steht auf dem Spiel, und ich kann Ihnen sagen, wer wahrscheinlich für den Einbruch und die Brandstiftung verantwortlich ist.«
    »Na gut, gehen wir am besten in mein Büro.«
    Andresen schloss die Tür auf und bot dem jungen Mann einen Stuhl an. »Setzen Sie sich bitte.«
    Schröder nickte mit gesenktem Kopf.
    »Dann legen Sie mal los.«
    »Das hier ist alles andere als leicht für
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