Traveler - das Finale
erzählen. Keine Tränen , ermahnte sie sich. Tränen können weder Alice noch Gabriel noch irgendwen sonst auf dieser Welt retten . Simon beobachtete sie, während sie ihren Schwertköcher zurechtrückte und sich ein bisschen gerader aufrichtete.
»Mir geht es gut. Wir sollten jetzt diese Frau besuchen und herausfinden, ob sie tatsächlich Untergrundkarten besitzt.«
Sie gingen die Straße entlang, bis sie das Haus Nummer
51 gefunden hatten, einen zweistöckigen Ziegelbau, dessen Architekt einst große Ambitionen gehegt haben musste. Griechische Säulen bildeten einen Portikus, und die dorische Fassade zog sich einmal um das Haus herum. Dort, wo sich früher einmal ein gepflegter Rasen befunden haben musste, wucherte ein Brombeergestrüpp, in das jemand selbst gemalte Schilder gesteckt hatte. RETTET DIE FLÜSSE. Informieren Sie sich hier.
Maya und Simon folgten dem Steinplattenweg und klopften an die Haustür. Fast im selben Moment ertönte eine Frauenstimme aus einem abgelegenen Teil des Hauses. »Komme schon!« Die Frau hörte nicht zu rufen auf, während sie durch die Zimmer hastete. »Komme schon! Einen Augenblick!«
Maya warf Simon einen Blick zu und sah, dass er lächelte. »Wenigstens ist es bewohnt«, sagte er fröhlich.
Die Tür flog auf, und vor ihnen stand eine kleine Frau über siebzig. Ihr langes, graues Haar stand ihr nach allen Seiten vom Kopf ab, und ihr T-Shirt war mit einem Spruch bedruckt: Zerreißt eure Ketten.
»Guten Tag, Madam. Ich bin Dr. Pannelli, und dies ist meine Freundin Judith Strand. Wir waren auf dem Weg zum Park, als uns Ihre Schilder aufgefallen sind. Mrs. Strand interessiert sich sehr für Ihre Organisation. Falls Sie nicht zu beschäftigt sind, könnten Sie uns vielleicht ein wenig darüber berichten?«
»Ich bin nicht beschäftigt«, sagte die Frau mit einem breiten Lächeln. »Überhaupt nicht. Treten Sie ein, Dr. … ich habe Ihren Namen nicht verstanden.«
»Dr. Pannelli. Und dies ist meine Freundin Judith Strand.«
Sie folgten der alten Dame in den ehemaligen Salon. Auf allen Tischen und Stühlen stapelten sich Flugblätter, Bücher und vergilbte Zeitungen. Es gab mit glatten Kieselsteinen gefüllte Plastikeimer und mit rotem Wachs versiegelte Gläser, an denen unleserliche Etiketten klebten.
»Suchen Sie sich einen Platz, schieben Sie das Zeug einfach beiseite.« Die Frau hob ein paar Bücher aus dem Rattansessel und ließ sie auf eine Klappliege fallen. »Ich bin Nora Greenall, Vorsitzende und Schriftführerin von ›Rettet die Flüsse‹.«
»Es ist uns eine Ehre, Sie kennen zu lernen«, sagte Simon galant. »Was genau tut Ihr Verein?«
»Es ist ziemlich einfach, Dr. Pannelli. Rettet die Flüsse fasst unser Ziel und unsere Vision zusammen. Ich hätte auch sagen können: Rettet die Londoner Flüsse, aber sobald wir es hier geschafft haben, werden wir unsere Aktivitäten auf die Welt ausdehnen.«
»Ist die Themse in Gefahr?«, fragte Simon.
»Ich spreche von den vielen anderen Flüssen, die es früher in London gab: den Westbourne, den Tyburn, den Walbrook. Inzwischen hat man sie mit Ziegeln und Beton eingemauert.«
»Und Ihr Verein setzt sich dafür ein …«
»… den Beton zu sprengen und die Flüsse zu befreien. Stellen Sie sich ein London vor, wo Rentner im Forellenbach ihres Wohnviertels angeln können. Eine Stadt mit sprudelnden Bächlein, an deren Ufer Liebespaare spazieren gehen und Kinder spielen.«
»Eine charmante Vorstellung«, sagte Simon mit sanfter Stimme.
»Sie ist mehr als charmant, Dr. Pannelli. Eine Gesellschaft, die ihre Flüsse befreit, ist auf dem besten Weg, sich selbst zu befreien. Schon die Kinder sollen lernen, dass kein Fluss einem geraden, vorgegebenen Lauf folgt.«
Maya warf Simon einen schnellen Blick zu – das führt zu nichts –, aber er schien sich nicht daran zu stören.
»Ich arbeite am Ludgate Circus«, sagte er. »Gibt es in der Gegend einen Fluss?«
»Ja, den River Fleet. Er fließt von Hampstead aus unter
Camden Market, Smithfield Market und Ludgate Circus durch.«
»Und Sie sind sicher, dass es ihn noch gibt?«, fragte Maya.
»Natürlich gibt es ihn! Man kann die Flüsse zubetonieren, verdammen und verschmutzen, aber sie wehren sich immer. Irgendwann werden alle Wolkenkratzer und Bürotürme einstürzen, aber die Flüsse werden überdauern.«
»Brava, Mrs. Greenall! Das klingt nach einem ganz außergewöhnlichen Verein!« Simon griff in seine Manteltasche und zog seine Brieftasche heraus. Er zögerte
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