Traveler - das Finale
und steckte sie betont langsam wieder ein. »Sie sind mit solcher Leidenschaft und solchem Ernst bei der Sache, dass es fast unschicklich scheint, Fragen zu stellen.«
»Bitte schön«, sagte Nora, »schießen Sie los!«
»Können Sie Ihre Aussagen belegen? Existieren von diesen Flüssen Karten oder Fotos?«
»Karten? Davon habe ich jede Menge.« Nora zog an einem Karton, dessen Inhalt auf den Boden fiel. Hastig kniete sie nieder, um die Flugblätter wieder einzusammeln.
»Haben Sie eine Karte vom River Fleet? Mrs. Strand und ich würden London nur zu gern erkunden. Es wäre außerordentlich lehrreich, dem Flusslauf durch die Stadt zu folgen.«
»Der Fluss entspringt in Hampstead Heath und ergießt sich aus einem kümmerlichen Abflussrohr unter der Blackfriars Bridge in die Themse. Die Strecke dazwischen legt er unterirdisch zurück. Er unterspült den Irrsinn und die Orientierungslosigkeit der heutigen Zeit.«
»Ich verstehe. Aber Sie wissen, wo er verläuft?«
Nora hatte die Flugblätter eingesammelt und verzog nun den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Ja. Und Sie könnten es ebenfalls wissen – als Vereinsmitglieder.«
Zum zweiten Mal zückte Simon die Brieftasche. »Zahlen wir eine Gebühr? Unterschreiben wir eine Petition? Wie ist das geregelt?«
»Für fünf Pfund pro Person erhalten Sie einen Mitgliedsausweis. Obwohl ich die Ausweise zurzeit leider verlegt habe …« Mit panischer Miene eilte Nora ins angrenzende Esszimmer und fing an, in Kisten und Schachteln zu kramen.
Maya beugte sich vor, um Simon zuzuflüstern. »Glauben Sie auch nur ein Wort davon?«
»Dass es den River Fleet noch gibt? Das steht außer Frage. Und zehn Pfund wären ein angemessener Preis für eine gute Karte.«
»Da sind sie!« Nora Greenall stand mit triumphierendem Gesichtsausdruck auf der Schwelle und schwenkte ihren Schatz. »Die Mitgliedsausweise!«
DREISSIG
A usgerüstet mit einem gelben Schutzhelm und einer Reflektorweste mit Londoner Stadtwappen, stand Maya gegenüber der Evergreen Foundation in der Limeburner Lane. Es war zehn Uhr abends und weit und breit niemand zu sehen, aber Maya war sich der Überwachungskameras über dem Gebäudeeingang bewusst.
Roland hatte sich auf der Suche nach einem Gully, der das Regenwasser in den River Fleet ableitete, einen halben Häuserblock entfernt. Laut Nora Greenalls Karte standen sie unmittelbar über dem Fluss, der von hier aus durch einen dunklen Tunnel der Themse entgegenströmte.
Nachts sah das Evergreen-Haus wie ein Schachbrett aus, denn die Fassade wurde von einem Linienraster in schwarze und graue Felder unterteilt. Beleuchtet waren nur die senkrechte Reihe der Notausstiegsfenster sowie zwei Fenster mit geschlossenen Vorhängen im vierten Stock. Vielleicht halten sie Alice dort fest , dachte Maya. Oder irgendein Buchhalter hat vergessen, seine Schreibtischlampe auszuknipsen.
Als Roland die Hand hob, eilte sie auf ihn zu. Der Free Runner trug ebenfalls einen Schutzhelm und eine Reflektorweste. Er wühlte in seinem Rucksack und zog eine Taschenlampe heraus, die an einer zehn Meter langen Angelschnur hing.
»Dieser Gully liegt dem Gebäude am nächsten. Ich kann Ihnen aber nicht versprechen, dass das Abflussrohr tatsächlich im Fluss mündet.«
»Wir versuchen es trotzdem. Es ist besser als nichts.«
Roland knipste die Taschenlampe mit der roten Glühbirne an und ließ sie durch das Gitter in den Schacht hinab. »Wenn Sie Richtung Norden gehen, werden Sie grünes, weißes, blaues und rotes Licht sehen. Das rote ist am wichtigsten, denn es zeigt an, dass Sie nur noch dreißig Meter vom Ziel entfernt sind.«
Er verknotete die Angelschnur am Gitter, und dann liefen sie in Richtung Ludgate Circus. Vor einhundert Jahren war der Platz belebt und der Treffpunkt vieler Straßenhändler gewesen, heute war er nur noch eine von vielen gesichtslosen Londoner Kreuzungen mit gelben Bodenmarkierungen. Hier gab es zahlreiche Gullys, und sie wählten einen in der Nähe der Limeburner Lane, um die blaue Lampe zu versenken. Dann setzten sie ihren Weg in Richtung der New Bridge Street fort, wo sie das weiße Licht vor dem Blackfriars Pub in einen Gullyschacht hinunterließen, bevor sie sich auf den Weg zur Themse machten.
Das vierte Licht hing in einem Schacht in der Nähe des Unilever-Hauses, einem großen, cremeweißen Gebäude, dessen Außenfassade an einen griechischen Tempel erinnerte. Maya wusste, auch dieses Bauwerk diente der Demonstration von Macht, dennoch hatte die
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