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Treffpunkt Irgendwo

Titel: Treffpunkt Irgendwo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fuchs
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dann doch zu blöd. Daher bin ich Richtung S-Bahn-Eingang und dann stehen geblieben und habe überrascht gerufen: »Hey, Len, richtig?«
    Er sah mich an, überlegte offenbar, wie er jetzt reagieren sollte, und bevor er irgendetwas sagen konnte, was womöglich alles erschwert hätte, schob ich nach: »Keine Angst, ich bin rein zufällig hier. Das mit der Anzeige hat sich geregelt, also kein Stress.«
    Ich konnte direkt sehen, wie er sich innerlich entspannte. »Hab ich doch gesagt.« Er grinste. Dann wandte er sich an seine Kumpel. »Das ist die, die damals mit im Kessel war. Von der Ella erzählt hat.«
    »Die mit dem Handy?«, fragte der Kerl, der links von Len stand. Er sah ziemlich fertig aus. Verdreckter Bart, siffige Klamotten, er schien mir wesentlich älter als Len.
    »Genau die.« Len kam zwei Schritte auf mich zu. »Freut mich. Aber habe ich dir ja gesagt.«
    »Ja, hast du.«
    »Bist du noch sauer?«
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ist ja alles wieder okay.«
    Eine unangenehme Gesprächspause entstand. Wir sahen einander abwartend an, schließlich zuckte er mit den Schultern. »Na dann. Schönes Leben und so.«
    »Tschüss«, sagte ich, drehte mich um und ging. Vermutlich habe ich darauf gewartet, dass er noch etwas sagen würde, aber da kam nichts. Als ich den Eingang zur S-Bahn betrat, sah ich mich kurz um. Er stand bereits wieder bei den anderen. Mit dem Rücken zu mir.
    Zurück in unserem Reihenhaus in Marienfelde fühlte ich mich erleichtert. Irgendwie war unser Wiedersehen klärend gewesen. Offenbar hatten wir uns wirklich nichts zu sagen. Vielleicht hatten Louisa und Mia doch recht. Es gab keinen Grund, noch länger irgendeinen Gedanken an ihn zu verschwenden. Vermutlich hatte ich mir das, was ich damals geglaubt hatte, in ihm zu sehen, nur eingebildet. Ihm ging es ja anscheinend gut. Und wie es mir ging, schien ihn ja auch nicht weiter zu interessieren. Sonst hätte er ja was sagen können. Da ich nichts weiter gesagt hatte, war es bei mir ja nicht anders. Er lebte sein Leben und ich meins. Es war so eine Episode, die man wohl später seinen Kindern erzählen würde: Damals, als der Punk mir das Handy klaute, oder so.
    Bis mich Wochen später mein Vater rief. »Jana, schnell, komm mal!«
    Ich war in meinem Zimmer am Laptop dabei, ein paar neue Apps für mein Smartphone zu suchen.
    »Was ist denn?«, schrie ich aus dem ersten Stock hinunter.
    »Die räumen in Mitte wieder ein Haus!«, antwortete er mir. »Komm mal gucken, kennst du das?«
    Ich raste die schmale Wendeltreppe hinunter. Mein Vater saß auf dem grauen Ledersofa im Wohnzimmer, auf dem großen Flachbildschirm lief die Abendschau. Wie für die meisten Altberliner war das ein altes Ritual für meine Eltern. Abends um halb acht sah man auf RBB die Abendschau und informierte sich über die Stadt.
    Mannschaftswagen der Polizei waren zu sehen, rot-weiße Straßensperren, dahinter Dutzende von Beamten in olivgrünen Kampfanzügen, die eine Straße abriegelten. Die Kamera zoomte über die Köpfe der Polizisten hinweg auf ein Haus zu, während der Sprecher aus dem Off erklärte: ». . . diesmal räumte die Polizei ohne Vorwarnung. Nach den straßenschlachtähnlichen Auseinandersetzungen in Mitte im Umfeld der letzten Räumung, erproben die Einsatzkräfte diesmal augenscheinlich eine neue Strategie. Wie der Polizeisprecher erklärte, wollte man der Sympathisantenszene keine Möglichkeit geben, Widerstand zu organisieren. Dennoch wurden vorbeugend aus anderen Bundesländern Einheiten in Berlin zusammengezogen. Szenen wie bei und nach der letzten Räumung sollen auf diese Weise vermieden werden. Das Konzept scheint aufzugehen, die autonome Szene wirkt überrascht. Die Bewohner des Hauses traf der Einsatz vollkommen unvorbereitet. Dennoch kam es zu Festnahmen.«
    »Ist es das Haus?«, fragte mein Vater.
    »Ja, das ist es«, murmelte ich. Und während Polizisten durch die Fenster Möbel und alte Matratzen auf die Straße hinunterwarfen, fragte ich mich, ob das die Sachen von Len und Ella waren. Was die beiden nun taten. Waren sie verhaftet worden, saßen die beiden jetzt im Gefängnis oder auf der Straße? Draußen war es minus zehn Grad kalt, der Winter hatte wie erwartet Berlin im März noch einmal fest in den Griff genommen.
    »Die haben sie doch nicht mehr alle«, murmelte mein Vater. »Warum kann man diese Leute nicht einfach darin wohnen lassen. Es gibt doch schon genug Luxuswohnungen in Mitte.« Und dann hielt er mir einen längeren Vortrag

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