Treffpunkt Irgendwo
rufen.«
»Wo wohnst du eigentlich im Moment? Immer noch bei deinem Kumpel?«
»Bei Kai?« Er sah mich empört an. »Hey, ich bin doch nicht bescheuert. Einmal Schleppscheiße langt mir. Ich, also ehrlich Jana. Ich lebe echt schon lange auf der Straße, aber das hatte ich nie. Kai ist fertig. Den möchtest du nicht mal angucken, dagegen hatte ich einen kleinen Pickel. Ne, ne, da bin ich raus. Kai ist wieder voll der Blechraucher.«
»Aha.« Ich wusste nicht genau, was Len damit meinte, aber es klang nicht gut.
»Die letzten Nächte habe ich in so ’nem Projekthaus gepennt. Ist für den Übergang ganz okay. Sobald es warm ist, geht es wieder nach draußen.«
»Echt, und wo da?«
»Görlitzer Park, S-Bahn-Bögen, vielleicht machen wir ein neues Haus klar.«
»Eine richtige Besetzung?«
»Nein. Nur so, für uns, kein politisches Ding, einfach total unauffällig irgendwo ein Ort zum Pennen. Ich kann mir augenblicklich keinen Stress mit der Polizei erlauben. Die haben mich eh schon auf dem Kieker.«
»Wie läuft das eigentlich so?«, fragte ich.
»Wie?« Len sah mich belustigt an. »Du willst jetzt von mir hören, wie das so ist. Wie ich lebe?«
»Ja.« Ich kam mir vor wie ein kleines dummes Mädchen. »Na ja, ich kann mir das nicht so vorstellen. Ich kenne das…« Jetzt wurde es echt peinlich. ». . . nur aus dem Fernsehen. Aus so Reportagen und ich denke, das ist…«
»Vergiss das«, unterbrach mich Len gereizt. »Die tauchen hier ab und an auf. Wollen drehen. Einer hat mal dafür gelöhnt, dass er uns ein paar Tage begleiten durfte. Er wollte das authentisch haben.«
»Und?«
»Am zweiten Tag hat er gesagt, wir sollten doch bitte aufhören, ihm was vorzuspielen. Wir könnten darauf verzichten, so auf brav zu machen. Er ließe sich nicht verarschen. Und wir könnten ruhig irgendwo einbrechen, Leute ausrauben und so. Da haben wir ihm gesagt, er soll sich verpissen.«
»Verstehe.«
»Das glaube ich nicht.« Len begann, sich eine weitere Zigarette zu drehen. Als er sie angezündet hatte, sagte er nach den ersten Zügen: »Ehrlich Jana, mein Leben ist voll langweilig. Totale Scheiße, Stillstand. Da passiert nicht viel. Du stehst mit deinen Kumpels rum, überlegst, wie du an Geld kommst, siehst zu, dass du nicht süchtig wirst, denn dann hast du echt ein Problem. Ist nicht so der Renner.«
»Warum lebst du dann so?«, fragte ich.
»Weiß nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Hat sich so ergeben, dumm gelaufen. Ist halt so.«
»Klingt komisch.«
»Ja, ist es auch. Und ehrlich, Jana, ich…« Er stockte, zögerte einen Moment und ich wusste, was kommen würde, bevor er auch nur damit ansetzte. »Ehrlich. Ich verstehe dich ja, das sieht aufregend aus, wie ich lebe. Ist es aber nicht. Das ist Scheiße. Niemand lebt gerne so, echt. Das ist nicht witzig, das ist gefährlich. Ich weiß, du hast dich in mich verknallt. Verstehe ich ja, ist schmeichelhaft, klar. Aber wirklich. Lass die Finger von mir. Ich bin echt nicht gut für dich. Ehrlich, Jana, das da draußen ist eine verdammt gemeine Welt. Okay?«
Insgeheim hatte ich mit genau so einer Ansprache gerechnet. Lens Verhalten mir gegenüber war schon den ganzen Abend so kühl und distanziert. Doch was er nun gesagt hatte, machte mich wütender, als ich gedacht hätte.
»Gar nicht okay!«, fuhr ich ihn an. Len kannte mich nicht. Nichts brachte mich so auf die Palme, als wenn jemand glaubte, für mich entscheiden zu müssen. Das stand ich nicht mal mehr meinen Eltern zu, selbst die hatten das inzwischen kapiert. Ich traf meine Entscheidungen selbst, niemand sonst.
»Ist ja nett, dass du so besorgt um mich bist. Aber hast du dir mal zugehört? Ich bin nicht gut für dich! Aus welchem Film hast du das denn. Fehlt nur noch, dass du mich Baby nennst! Echt Len, mal ganz objektiv gesehen, wer von uns beiden hat wohl sein Leben mehr im Griff, weiß eher, was für ihn gut ist, tut wohl genau das Richtige?«
Das saß. Len sah mich perplex an, damit hatte er offenbar nicht gerechnet. Was für ein arroganter Kerl.
Ich war so wütend. Wütend auf Len, wütend auch auf mich. Der ganze Abend lief so komplett anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Von wegen ein Date. Len führte sich auf, als wäre er zehn Jahre älter als ich. In seinen Augen war ich die Kleine vom Land, der er jetzt, der Mann von Welt, erklären musste, was Sache war. Der hatte sie doch nicht mehr alle.
»Okay.« Len trank einen Schluck aus seiner Bierflasche. »Mag, sein, aber dennoch. In
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