Treffpunkt Irgendwo
Töchterchen jemanden wie mich nachts mit nach Hause bringt.«
»Hey, ja! Ich bin kein Töchterchen!«, empörte ich mich. »Außerdem, wen ich bei mir in meinem Zimmer schlafen lasse, ist ja wohl mein Ding.«
»Bist du dir da sicher?«
»Logo!« Ich hatte keine Ahnung, was ich da sagte. Aber ich spürte, wie sich die Stimmung zwischen uns wandelte, und ich wollte nicht zulassen, dass er sich mir wieder entzog. Ich wollte ihn, wollte das zwischen uns festhalten. »Also, wenn du keinen besseren Vorschlag hast, dann fahren wir jetzt zu mir.« Ich streckte ihm meine Hand entgegen und nach einem kurzen Zögern packte er sie.
»Okay…«
Wir sind Hand in Hand zur S-Bahn, sein Griff fühlte sich warm und fest an, es war ein gutes Gefühl. Ich war so glücklich, dieser Gang zu S-Bahn war endlich so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ein bisschen wie »Schlaflos in Seattle«. Keiner von uns sagte etwas, ein stummes Wundern, staunende, ungläubige Blicke, so als könnten wir beide nicht begreifen, was zwischen uns geschah. Und zugleich ein eigenartiger Zauber und eine unfassbar tiefe Gewissheit und Sicherheit, dass es so gut war.
Kapitel 8
D ie Surroundanlage im Wohnzimmer dröhnte so laut, dass meine Eltern unser Kommen gar nicht bemerkten. Vermutlich schlief meine Mutter schon auf dem Sofa und mein Vater hing in irgendeiner Folge von Kommissarin Lund fest. Vor drei Tagen hatte er die neue Staffel auf Blu-Ray bekommen. Der bekam garantiert gar nichts mit.
Len und ich sind die schmale Treppe hoch und direkt in meinem Zimmer verschwunden. Ich habe die Tür hinter uns abgeschlossen und erst dann das Licht eingeschaltet. Len stand unschlüssig in der Mitte meines Zimmers herum, musterte das Bett, meinen Schreibtisch, mein Bücherregal.
Das tat weh. Denn mit ihm sah auch ich selbst mein Zimmer plötzlich neu, begutachtete es mit seinen Augen, fragte mich, was es, wenn es nicht mein Zimmer gewesen wäre, mir über den Bewohner verraten würde.
Zwei Schwarz-Weiß-Fotografien hingen gerahmt an den Wänden. Einmal die Skyline von New York, dann der berühmte Kuss aus Paris. Le Baiser de l’Hôtel du Ville von Robert Doisneau. An der Wand mit der Dachschräge stand mein Bett. Ein schwarzer Metallrahmen, romantisch verschnörkelt. Es war eine Mischung aus Bett und Sofa von Ikea, eine gelbe Tagesdecke, viele kleine Kissen. Der große Schreibtisch vor dem Fenster war aufgeräumt, auf einem kleinen Regal darüber Nachschlagewerke und ein zwanzigbändiges Taschenbuchlexikon. Der Laptop stand offen, jedoch war ein Tuch als Staubschutz über die Tastatur gelegt.
Am Spiegel links neben der Tür hingen Tücher und Taschen, daneben der Kleiderschrank und das Klavier. Auf einem Schränkchen neben dem Bett die Dockingstation meines iPod. Alles wirkte auch auf mich so schrecklich organisiert und aufgeräumt. Selbst im Bücherregal waren die Bücher ordentlich sortiert. Oben die Taschenbücher, darunter die gebundenen.
Es war das Zimmer einer lieben braven Gymnasiastin, es war ein typisches Marienfelder Mädchenzimmer.
»Tja, das ist mein Zimmer«, entschuldigte ich mich.
»Nett.« Len drehte sich zu mir um und grinste.
»So schlimm?«, fragte ich unsicher.
»Gar nicht schlimm. Nur anders.«
»Magst du was trinken?«, versuchte ich, das Thema zu wechseln.
»Hast du ein Bier?«
»Mein Vater trinkt nur Rotwein«, sagte ich kleinlaut.
»Auch gut.«
»Ich hol uns eine…« Ich eilte zur Tür und schloss auf. »Wenn du ins Bad willst, also Toilette, direkt die erste links.«
Unten in der Küche griff ich mir ein Flasche Rotwein aus dem Regal. Öffnete sie hektisch mit dem Korkenzieher.
»Jana?« Die Stimmen und Geräusche aus dem Wohnzimmer brachen abrupt ab.
»Hallo, Papa!«
»Alles okay?«
»Ja, bin wieder da.«
»Willst du mitgucken?«, fragte er. »Ist echt spannend.«
»Ne, heute nicht«, gab ich zur Antwort. »Ich bin müde.«
»Dann Gute Nacht. Mama will morgen zu IKEA, wir wollen uns Küchen ansehen. Willst du mit?«
»Ich wollte ausschlafen.«
»In Ordnung.«
Schlagartig wurde es wieder laut. Keine Sekunde zu früh, denn während ich noch zwei Gläser griff, hörte ich von oben das Rauschen der Klospülung.
»Ist Barolo okay?«, fragte ich, während ich hinter mir die Tür wieder abschloss.
»Keine Ahnung. Rotwein ist Rotwein.« Len hatte es sich auf meinem Bettsofa gemütlich gemacht. Die Lederjacke lag auf dem Teppich.
»Du kannst Klavier spielen?«, fragte er.
»Ein bisschen«, antwortete ich und goss
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