Treffpunkt Irgendwo
wecken.
Also bin ich ganz normal zur Schule, anschließend mit zu ihr und dann zu mir nach Hause. Ich habe meiner Mutter einen Zettel geschrieben, dass ich mich mit den Leuten vom Training treffen würde. Spontanes Kino. Danach wollten wir noch was trinken. Unsere letzte Niederlage feiern.
Doch ich würde mich nach dem Film so gegen acht Uhr in jedem Fall melden. Dann rannte ich zur S2 und fuhr zum Alexanderplatz.
Zu meiner Erleichterung war Len tatsächlich da. Mit Ella, Zora und ihrem Hund Carrie sowie noch ein paar anderen stand er an ihrem üblichen Platz.
»Len, ich, ich…«
»Wie, hast du so große Sehnsucht nach mir gehabt?« Len kam auf mich zu und umarmte mich.
»Nein, ich habe nur vergessen, dir was zu sagen.«
»Und was? Dass wir uns wieder häufiger sehen sollten?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Du musst weg. Weg von hier, weg aus Berlin, am besten weg aus Deutschland«, brach es schluchzend aus mir heraus.
»Aber wieso das, Jana, es ist endlich warm. Jetzt beginnt die geilste Zeit des Jahres in Berlin.«
»Du hast ja keine Ahnung!« Ich ließ es zu, dass Len mich tröstend in den Arm nahm. Genoss diesen Moment, wollte ihn auskosten. Wusste ich doch, dass es, wenn ich erst gesagt hatte, weswegen ich gekommen war, nie wieder so sein würde.
»Jetzt sag schon!«, forderte mich Len auf. Er war heute einfach wieder umwerfend und ich würde nun alles kaputt machen.
»Mein Vater hat sich neulich bei seinem Freund, einem Richter, erkundigt«, sagte ich mit heiserer Stimme. »Was genau gegen dich vorliegt. Und der hat gesagt, ’ne Menge, da seien etwa fünfzehn Verfahren gegen dich aufgelaufen. Die sind wohl noch am Zusammentragen, doch da sich inzwischen auch der Staatsschutz eingeschaltet hat, bist du dran. Len, vermutlich werden die dich bald einkassieren. Die wissen doch auch, wo die dich suchen müssen, und dann wirst du für einige Jahre ins Gefängnis wandern. Len, du musst weg, jetzt sofort.«
»Blödsinn!«, widersprach mir Len. »Das kann nicht sein. Die kriegen mich nicht. Ich passe auf.«
»Len, bitte! Im Knast, da gehst du doch drauf. Und ich allein hier draußen auch.«
»Hey, ganz ruhig, ich gehe nicht in den Knast.«
»Dann geh weg. Weit weg.«
»Ich bin niemand, der abhaut«, beharrte er.
»Darum geht es nicht, die… die…« Ich wusste nicht, was ich noch sagen konnte. Wieso reagierte er so? Er selbst hatte mir doch schon vor Wochen erzählt, dass er bald würde abtauchen müssen.
»Ich habe das im Griff, ehrlich«, versuchte Len, mich zu beruhigen.
»Du hast gar nichts im Griff«, widersprach ich. »Und das weißt du auch.«
»Okay, dir zuliebe, ich kenne da so einen Streetworker, den werde ich mal anhauen, okay?«
»Bitte.«
»Stay cool.«
»Ach, Len.«
»Und, hast du Zeit?«
»Ja, ein bisschen.«
»Dann können wir doch was zusammen machen?«
»Und was?«
»Ist doch egal.«
»Okay.« Len legte mir den Arm über die Schulter und wir sind los.
Wir hatten kein Ziel, wir sind einfach Arm in Arm zusammen durch die Gegend gelaufen. Wir sind Unter den Linden entlang, am Brandenburger Tor vorbei, dann hinüber in den Tiergarten. Dort haben wir auf einer Bank eine Pause gemacht. Anschließend sind wir weiter in Richtung Siegessäule. Wir haben uns die ganze Zeit unterhalten, aber nicht über uns, wie es mit uns weitergehen würde, sondern nur darüber, was wir sahen: merkwürdige Menschen, Autos mit Diplomatenkennzeichen, ein schwules Paar mit zwei Dackeln. Im McDonald’s hinterm Amtssitz des Bundespräsidenten haben wir uns Pommes und Cola gekauft und an der Spree gefuttert. Dann habe ich meine Mutter angerufen, ihr erklärt, dass der Film nun aus sei, wir aber noch was trinken gehen würden.
Sie wünschte mir viel Spaß.
Da es langsam kalt wurde, schlug Len vor, irgendwo reinzugehen. Er führte mich in ein türkisches Café. Wir tranken gesüßten Tee aus diesen kleinen Gläsern, alte Männer saßen an den Nachbartischen und spielten irgendein Spiel mit Dominosteinen, das ich nicht kannte. In mir war ein wunderbares Feriengefühl, eine Leichtigkeit, die einfach großartig war. Doch irgendwann war die Auszeit vorbei, ich musste zurück in mein altes Leben. Len brachte mich zur S-Bahn-Station Bellevue.
»Schade«, sagte Len oben am Bahnsteig, als die S-Bahn einfuhr.
»Ja, geht aber nicht anders.« Ich umarmte ihn. »Und Len, du versprichst mir, dass du mit dem Mann sprichst.«
»Klar.«
»Wir sehen uns?«
»Wir sehen uns.« Ich gab ihm einen kurzen Kuss und bin
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