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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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    Dann fiel ihm ein, daß sie nicht mehr wissen würde, wer er war, daß sie sich nicht einmal mehr an die Stadt erinnern würde, die er ihr vorgegaukelt und für sie erträumt hatte. Diese Stadt war untergegangen, als er seinen Pakt mit Milhibethjida geschlossen hatte.
    Du bist ein bruderloser Narr, Herr Magus, tadelte er sich. Du hängst Tagträumen nach, während der Weltendiskus ins Schlingern gerät und du auf einer Reise bist, deren Ziel selbst einem Hochgeschwister nicht geheuer ist. Träume weiter, und du wirst selbst bald ein Stelldichein mit Schwester Tsa haben. Außerdem bist du viel zu jung für greisenhafte Gefühlsduseleien!
    Ein heranwehender schwacher Geruch ließ ihn jäh innehalten und die umliegenden Häuser betrachten. Klein, unbedeutend, heruntergekommen und belanglos, bis auf eines, das sich nur in dem Schild mit dem Storch über der Tür von den anderen unterschied: ein Apothecarius. Er betrat den kleinen Laden, wo Bündel mit getrockneten Blättern und Zweigen an langen Schnüren von der Decke hingen, wo sich in Körbchen Kräuter und Blüten häuften und in ölgefüllten Gefäßen weitere Pflanzenteile schwammen. Er nickte dem Inhaber zu, einem dürren Mann mit buschigen Augenbrauen, von denen jede einzelne genausogut als stolzer Schnauzbart hätte dienen können. Solange der Apotheker einen gichtfingrigen Greis bediente, schlenderte Scheïjian scheinbar unschlüssig im Laden umher, schnupperte hier und dort. Wie zuvor der feine Geruch, so verflogen seine Zweifel.
    »Womit kann man behilflich sein?« fragte der Apotheker, als der Gichtfingrige den Laden verlassen hatte. »Braucht man etwas gegen das nächtliche Gebeiß und Gestech, etwas gegen den magensäuerlichen Gefährten des Trunks, oder will man der Damenschaft mit Wohlgeruch und glänzendem Haar gefallen?«
    »Hat man vielleicht auch von der Grünen Kirsche?« fragte Scheïjian.
    »Da weiß man gar nicht, was der Herr meint«, entgegnete der Apotheker zurückhaltend.
    »Man wird wohl nicht unreifes Obst meinen, sondern die Frucht des Shurinstrauchs.« Mit diesen Worten wurde Scheïjian deutlicher.
    Der Apotheker verschränkte die Arme vor der Brust. »Hat man vielleicht einen zweiten Kopf, daß man sich einen abschneiden lassen kann, oder noch ein Leben in der Truhe, daß es einen nicht stört, eines im Kerker zu verbringen?«
    Scheïjian verdrehte die Augen. »Wird man wohl eigens aus Chorhop anreisen, nur um einen kleinen Giftmischer, der nicht darauf achtet, was aus seiner Tür herausriecht, den Bütteln zu übergeben?«
    »Spricht man vielleicht in Chorhop einen anderen Dialekt?« entgegnete der Apotheker ungerührt.
    »Bezahlt man zum Ausgleich auch nicht mit gestrecktem Gold, sondern mit schweren Garether Dukaten?«
    »Tut man das?«
    »Man tut es.«
     
    Wenig später verließ Scheïjian grußlos den Laden. Er hatte zwar keine akute Verwendung für die giftigen Knollen, aber er hatte gelernt, nicht zu zaudern, wenn das Schicksal rief.
    Er schlenderte gerade eine schmale Stiege hinab, die zwei parallel verlaufende Sträßchen miteinander verband, als es ihm erschien, als wäre er schlagartig an einen anderen Ort versetzt worden und Satinav hätte ihm bestimmt, etwas, das er schon zuvor erlebt hatte, erneut zu durchleben.
    Der Anlaß dafür waren drei Gardisten, die einen Gefangenen mit sich führten, einen glatzköpfigen Mann mit geflochtenem Bart in schlichter Kleidung, die Hände auf den Rücken gebunden. Scheïjian hatte noch nicht herausgefunden, woran ihn diese Szenerie erinnerte, als er den Gefangenen erkannte. Wie viele Jahre war es her, daß er ihn zuletzt gesehen hatte? Tatsächlich wie in einem anderen Leben! Die Jahre hatten seinen einstigen Lehrmeister sehr verändert. Scheïjian fragte sich, warum er überhaupt noch lebte.
    Er folgte der Vierergruppe zu einem abweisenden Gebäude, das der Wechsel vieler Jahreszeiten mit einer düsteren Patina überzogen hatte. Die Gardisten stießen ihren Gefangenen auf ein mit rostigen Eisenbeschlägen versehenes Tor zu, zu dessen beiden Seiten Hellebardiere in gelb-violetten Uniformen standen. Die beiden Gruppen wechselten einige Worte miteinander und nahmen dann allesamt rasch Habachtstellung ein, als sich die Tür öffnete und ein etwa fünfzigjähriger Mann mit leicht vorquellenden Augen und ausgeprägter Nase heraustrat. In der Linken trug er weiße Stulpenhandschuhe, die er sich vor dem Tor gemächlich anzog, ohne sich um die strammstehenden Gardisten zu

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