Trennung ohne Rosenkrieg - ein psychologischer Wegweiser
Gelegenheit wieder ins Bewusstsein. Verdrängte Gefühle folgen dem natürlichen Drang nach Ausdruckund Lebendigkeit. Unterdrückte Trauer wird von Betroffenen entweder als unkontrollierbare Überflutung oder emotionale Erstarrung beschrieben. Canacakis nennt es »Explosionsgefahr« oder »seelische Versumpfung«. (Canacakis 1990)
Daraus folgt, dass Trauer als eine spontane, normale Reaktion unseres Organismus und unserer ganzen Person notwendig ist, um Verlust und Trennung zu verarbeiten. Die Trauer ist unverzichtbar fürs Loslassen und für die Verarbeitung von Schlusssituationen. Sie hilft uns, die Trennung mit der Zeit zu akzeptieren, und fördert die erneute Kontakt- und Beziehungsfähigkeit. Wird die Trauerarbeit vermieden (z. B. durch eine zu frühe neue Liebesbeziehung oder durch die Unfähigkeit zu trauern), kommt es nicht selten zu erneutem Scheitern in Beziehungen oder zu depressiven Entwicklungen. Solange wir unsere Trauer nicht bewältigt haben, können wir nicht abschließen und inneren Frieden mit unserer Lebenssituation finden. Das wiederum verbaut uns die Möglichkeit, eine neue Beziehung aufzubauen.
Auch derjenige, der eine langjährige Beziehung beendet hat, ist im Moment der Trennungsmitteilung noch nicht wirklich gelöst, auch wenn er es gern wäre oder nach außen hin postuliert. Trauer und Abschiedsprozesse brauchen Zeit und die Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Beide Partner erfahren auf schmerzliche Weise, dass mit dem Verschwinden der Liebe die Bindungsgefühle nicht automatisch ausgelöscht sind. Mit dem Menschen, mit dem wir eine längere Strecke unseres Lebens gegangen sind, bleiben wir in gewisser Weise verbunden, auch wenn wir uns trennen. Die gemeinsamen Beziehungserfahrungen sind Teil unserer Lebensgeschichte. Wir stoßen immer wieder auf Gegenstände, Bilder, Musik, Erlebnisse und Geschichten, die eine gemeinsame Bedeutung erlangt hatten.
Nicht nur der ›Verlassene‹, sondern auch derjenige, der verlassen hat, muss immer wieder mit emotionalen Einbrüchen rechnen, denn die eigentliche Lösung und die dazugehörige Trauerarbeit sind noch nicht beendet. Wie schon erwähnt, ist die zu leistende Trauerarbeit für den Partner, der geht, und für den, der verlassen wird,eher ähnlich als unterschiedlich, nur zeitlich verschoben. Nur werden bei demjenigen, der geht, Trauerreaktionen weniger erwartet und verstanden als bei demjenigen, der verlassen worden ist. Sieder meint dazu: »Nicht nur der verlassene und verletzte Partner, auch der Initiator, der die Trennung allein oder deutlich mehr betrieben hat, erleidet einen Verlust, er nimmt ihn nur weitaus weniger wahr. Er handelt ja in der Überzeugung, sich selbst zu befreien, und meint, bald stünde ihm ein Leben in größerer Freiheit und Autonomie offen. So kann auch bei ihm ein Mangel an Trauer entstehen.« (Sieder 2008) Es gibt nicht die eine oder die beste Art des Trauerns bei einer Trennung. So verschieden wir lieben, so vielfältig trauern wir beim Verlust eines Partners. Wie immer die Trauer gelebt oder nicht gelebt wird, wichtig ist, dass wir den Schmerz, der mit der Trennung verbunden ist, wahrnehmen und dafür einen Ausdruck finden.
Sich mit den Verletzungen zu befassen heißt, den Schmerz und die Trauer zu öffnen. Dazu ist es notwendig, sich einzugestehen, dass man verletzt worden ist und folglich das Recht hat, sich verletzt zu fühlen. Enright meint dazu : »Erstens müssen wir anerkennen, dass die Verletzung ein Unrecht darstellt und immer ein Unrecht bleiben wird. Zweitens haben wir einen moralischen Anspruch auf unsere Wut. Es ist rechtmäßig, wenn wir an unserer Ansicht festhalten, dass niemand das Recht hat, uns zu verletzen. Wir haben Anspruch darauf, respektiert zu werden. Drittens setzt Vergebung voraus, dass wir aufgeben, worauf wir ein Anrecht haben: unsere Wut oder unsere Bitterkeit.« (Enright 2006)
Für die folgende Übung brauchen Sie Zeit, Ungestörtheit und die Stärke, sich mit Ihrer Verletztheit zu befassen. Setzen Sie sich selbst einem leeren Stuhl gegenüber, auf dem Sie sich Ihren Ex-Partner vorstellen.
VORSTELLUNGSÜBUNG: ICH FÜHLE MICH DADURCH VERLETZT, DASS DU …
Gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit nach innen und erinnern Sie sich an Situationen in Ihrer vergangenen Beziehung, in denen Sie sich in besonderer Weise von Ihrem jetzt getrennt lebenden Partner verletztgefühlt haben. Sie können die bedeutsamsten Verletzungssituationen auch notieren. Stellen Sie sich jetzt vor, Ihr Ex-Partner
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