Treue Genossen
ihrem fliegenden Zaubermörser samt Stößel. In Schenjas Märchen verspeiste Baba Jaga Kinder, die sich zu ihrer Hütte verirrten. Diese Hütte hier war voller Mädchen und Jungen, die auf einem mit bunten Schaumgummibällen übersäten Trampolinboden hüpften. Sie rutschten aus einer Tür heraus und flitzten zur anderen wieder hinein, während die mechanische Hexe oben furchtbar krächzte. Schenja legte sein Schachspiel weg und lief wie verzaubert zu dem Hexenhaus.
»Danke übrigens fürs Mitnehmen«, sagte Hoffman. »Ich fahre in Russland nicht selbst. Fahren ist hier, als ob man endlos um den Arc de Triomphe kurvt.«
»Kann ich nicht beurteilen. Was ist mit Ihrer Nase?«
»Oschogin hat mich gezwickt. Es war nicht mal ein Faustschlag. Er hat mir die CD-ROM hingehalten, dann nach oben durchgezogen und ein Blutgefäß verletzt, nur um mich zu demütigen.«
»Heute ist der Tag der blutigen Nasen«, stellte Arkadi fest.
»Timofejew hatte auch eine.« Jetzt, wo er darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass Iwanow auf den Videobändern auf die gleiche Weise ein Taschentuch gehalten hatte.
Hoffman beugte sich vor. »Habe ich schon erwähnt, dass er Sie genauso gut leiden kann wie mich?«
»Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe.« Die Aussicht, Oschogin noch einmal zu begegnen, weckte in Arkadi den Wunsch, etwas für seine Fitness zu tun, Gewichte zu stemmen, regelmäßig zu trainieren. Er steckte sich eine Zigarette an. »Wo hatten Sie die CD-ROM versteckt?«
»Ich wusste, dass Oschogin meine Wohnung durchsuchen würde, deshalb habe ich sie zu meinem Spind im Fitnessstudio gebracht und dort an die Unterseite geklebt. Sie war nicht zu sehen. Keine Ahnung, wie er sie gefunden hat.«
»Wie oft gehen Sie in das Studio, Bobby?«
»Einmal am .« Hoffman zuckte mit den Schultern. »Da haben wir’s.«
»Und jetzt, wo sie die CD-ROM haben, heißt es für mich, aus Russland verschwinden oder ab in den Knast. Die wollen mich loswerden. Aber nicht mit mir, ich komme wieder.«
»Und Rina?«
»Da kann ich Sie beruhigen.« Bobby pickte Piroschkikrümel von seiner Jacke. »Rina ist ein reizendes Kind, und Pascha hat gut für sie gesorgt. In einem Jahr wird sich ihr Leben nur noch um Modenschauen drehen. Und nebenher wird sie Paschas Stiftung leiten, das hält sie in Schwung. Alle gewinnen, bis auf Sie und mich. Und ich komme wieder auf die Beine.«
»Womit ich übrig bliebe.«
»Am unteren Ende der Nahrungskette. Aber eins kann ich Ihnen sagen: Die Firma ist erledigt.«
»NoviRus?«
»Futsch. Pascha war der Einzige, der den Laden zusammengehalten hat.« Bobby betastete vorsichtig seine Nase. »Timofejew mag ein guter Wissenschaftler sein, aber als Unternehmer ist er eine Niete. Kein Mut, keine Phantasie. Ich habe nie verstanden, warum Pascha an ihm festgehalten hat. Mal ganz davon abgesehen, dass Timofejew vor aller Augen vom Fleisch fällt. Sechs Monate, und wissen Sie, wer dann bei NoviRus das Sagen hat? Oschogin mit seinem Polizistenhirn. Nur leider kann man ein komplexes Wirtschaftsunternehmen nicht wie ein Polizist leiten, man muss General sein. Kusmitsch und Maximow können nicht warten. Wenn sie mit Oschogin fertig sind, werden Sie keinen Knochen von ihm finden. Das ist die Nahrungskette, Renko. Wenn Sie die Nahrungskette verstehen, verstehen Sie die Welt.«
Arkadi beobachtete Schenja, der immer wieder ins Blickfeld hüpfte und dann wieder verschwand. »Was wissen Sie über Anton Obodowski?«, fragte er.
»Obodowski?« Hoffman hob die Augenbrauen. »Harter Bursche, lokale Mafiagröße, hat uns ein paar Tankwagen geklaut und angezapft. Er hat Mumm, das muss man ihm lassen. Oschogin hat ihn mir mal auf der Straße gezeigt.
Obodowski hat den Oberst nervös gemacht. Das gefiel mir.«
Als Schenja endlich von der Hüpfburg zurückkehrte, fuhren sie weiter. Hoffman und Schenja spielten Schach ohne Brett, indem sie einander die Züge zuriefen. »E2 nach E4«, flötete der Junge von der Rückbank, und Hoffmann antwortete umgehend vom Beifahrersitz, »B7 nach B6«. Den ersten zehn Zügen konnte Arkadi noch folgen, danach hatte er das Gefühl, einem Gespräch zwischen Robotern zu lauschen, und so sann er über seine schwindenden Zukunftsaussichten nach. Eine Entlassung wegen Unfähigkeit war praktisch unmöglich. Unfähigkeit war im alten Rechtssystem die Regel geworden, als Staatsanwälte im Gerichtssaal nie gegen aufstrebende Anwälte antreten mussten und stets über beruhigende Beweise und Geständnisse
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