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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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allgemein bekannt«, sagte Eva leise zu Arkadi. »Er und seine kostbare Natur. Er ist ein Perfektionist. Ein Mann wie er würde ein Auto immer wieder gegen einen Laternenpfahl setzen, bis es ein totales Wrack ist. Zumachen.«
    Die Alte klappte fest den Mund zu, um nichts weniger als bedingungslose Zusammenarbeit zu signalisieren. Arkadi bezweifelte, dass sie vom Kopftuch bis zu den Gummistiefeln, die deutlich über dem Boden baumelten, mehr als einen Meter fünfzig maß. Aus ihren Augen leuchtete unverfälschtes ukrainisches Blau.
    »Maria Fedorowna, Sie haben den Blutdruck und Puls einer Frau, die zwanzig Jahre jünger ist. Nur der Polyp in Ihrem Hals gefällt mir nicht. Ich würde ihn gern herausnehmen.«
    »Ich werde mit meinem Mann darüber sprechen.«
    »Gut, aber wo ist Roman Romanowitsch? Ich hatte ihn eigentlich auch erwartet.«
    Maria Fedorowna spähte zum Ende der Gasse, wo gerade ein Tor aufschwang und ein gebeugter Mann mit Mütze und Pullover heraustrat der an einem Strick eine schwarz-weiß gescheckte Kuh hinter sich herzog. Arkadi konnte nicht sagen, wer müder aussah.
    »Er bringt die Kuh an die Luft«, sagte Maria.
    Die Kuh stapfte brav hinterdrein. Eine Milchkuh war ein kostbarer Besitz, den man Besuchern gern vorführte, dachte Arkadi. Alle Aufmerksamkeit war auf das Tier gerichtet, das mit schwerfälligem Gang im Kreis trottete. Die Hufe erzeugten auf der nassen Erde ein schmatzendes Geräusch.
    Evas Finger spielten mit dem Halstuch, das sie in den Kragen ihres Laborkittels gestopft hatte. Sie war nicht hübsch im landläufigen Sinn. Der Kontrast zwischen ihrer weißen Haut und ihrem schwarzen Haar war zu bizarr, und ihre Augen blickten unversöhnlich, zumindest wenn sie Arkadi ansah.
    »Gibt es hier kein Haus, das sie benutzen könnten«, fragte Arkadi. »Aus Gründen der Diskretion.«
    »Diskretion? Das hier ist ihre Unterhaltung, ihr Fernsehen, und hinterher können sie alle wie Fachleute über ihre gesundheitlichen Probleme diskutieren. Diese Menschen sind über siebzig oder achtzig. Ich operiere nur, wenn sich jemand beispielsweise ein Bein gebrochen hat. Der Staat will an Menschen ihres Alters kein Geld, keine Instrumente oder sauberes Blut verschwenden. Eigentlich dürfte ich nicht einmal Hausbesuche machen, aber Maria würde nie in die Stadt kommen, weil sie Angst hat, man würde sie nicht hierher zurückkehren lassen.«
    »Trotzdem sollten sie nicht in der Sperrzone leben«, erwiderte Arkadi.
    Eva wandte sich an die Frauen auf der Bank. »So etwas Dummes kann nur jemand aus Moskau sagen.« Nach ihren Gesichtern zu urteilen, teilten sie diese Ansicht. »Der Staat ignoriert die Rückkehr alter Leute bewusst«, klärte Eva Arkadi auf. »Er hält sie nicht mehr davon ab, das hat er aufgegeben. Und er schickt ihnen auch keine Ärzte mehr. Er verlangt von ihnen, dass sie ins Krankenhaus gehen.«
    »Wer in unserem Alter ins Krankenhaus geht«, sagte Maria, »kommt nicht mehr heraus.«
    Eva wandte sich an Arkadi. »Kennen Sie diese Fernsehsendung mit den Badeschönheiten, die man auf einer tropischen Insel aussetzt, um festzustellen, ob sie überleben können?« Sie deutete mit dem Kopf auf Maria und ihre Freundinnen auf der Bank. »Das sind die wahren Überlebenskünstlerinnen.«
    Die Ärztin stellte sie vor: die mit dem runzligen Gesicht und den trüben Brillengläsern hieß Olga, die mit der Krücke Nina und die mit den Zöpfen und kantigen Zügen eines Wikingers Klara. Maria war ihre Anführerin.
    »Was führt einen Chefinspektor hierher?«, fragte Maria Arkadi.
    »Mitte Mai«, antwortete er, »wurde am Eingang Ihres Friedhofs eine männliche Leiche gefunden. Ich habe gehofft, eine von Ihnen hätte vielleicht jemanden gesehen oder gehört oder etwas Ungewöhnliches bemerkt, zum Beispiel ein Auto.«
    »Der Mai war regnerisch«, sagte Maria.
    »War es Nacht?«, fragte Olga. »Wenn es Nacht ist und regnet, geht doch niemand vor die Tür.«
    »Hat jemand von Ihnen einen Hund?«
    »Nein«, antwortete Klara.
    »Wölfe fressen Hunde«, meinte Nina.
    »Ja, ich weiß. Kennen Sie eine Familie Katamai? Der Sohn war hier bei der Miliz.«
    Die Frauen schüttelten den Kopf.
    »Sagt Ihnen der Name Timofejew etwas?«, fragte Arkadi.
    »Das ist doch nicht zu fassen«, sagte Eva. »Sie benehmen sich, als wären Sie in Moskau. Sie sind in einem schwarzen Dorf, und fast alle Menschen hier sind Gespenster.
    Jemand aus Moskau ist hier gestorben? Einer weniger. Wir schulden Moskau nichts, dort hat man nichts für

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