Treue Genossen
»Warten Sie«, rief Arkadi, »ich komme runter!« Eva flüsterte: »Ich war nicht hier.«
Das Cafe war Tschernobyls abendlicher Treffpunkt und Meinungsbörse, und seit der Entdeckung von Boris Hulaks Leiche im Kühlsee war Arkadis Ansehen gestiegen. Ihm wurde Ellbogenfreiheit und ein Tisch gewährt, während Vanko ihm ein Bier holte. Die Musik war von Pink Floyd, und manche Gäste fanden sie sogar tanzbar.
»Alex sagt, Sie ziehen Morde an wie ein Magnet.«
»Alex sagt die nettesten Dinge.«
»Er wollte noch vorbeischauen. Er sucht Eva.«
Arkadi verriet nicht, dass er eben noch mit ihr zusammen gewesen war. Interessant, dachte er. Unsere erste Heimlichkeit.
»Sie sagten, Sie hätten etwas für mich.«
»Für die Juden.« Vanko öffnete einen Rucksack und reichte Arkadi eine Videokassette, unbeschriftet bis auf ein Preisschild.
»Wie kommen Sie auf fünfzig Dollar?«
»Das ist ein wertvolles Andenken. Wir könnten es Ihrem amerikanischen Freund verkaufen und den Gewinn teilen. Was halten Sie davon?«
»Ein Video von einem Grab? Von der Gruft, die wir gestern besichtigt haben? Sie ziehen wirklich ein Geschäft damit auf.«
»Ich kann auch den Reiseführer spielen. Ich weiß, wo alles ist. Ich war bei dem Unfall hier, müssen Sie wissen, als Junge.«
»Angesichts der Strahlendosis, die Sie damals abbekommen haben, ist die Zone doch der letzte Ort, wo Sie sich aufhalten sollten, oder?«
»Die Zone ist für jeden der letzte Ort, wo er sich aufhalten sollte. Aber wir wechseln turnusmäßig, wir sind ebenso oft weg.«
»Was tun die Leute in ihrer Freizeit?«
»Ich nicht viel. Alex verdient gutes Geld. Er sagt, er arbeite im Bauch der Bestie. So nennt er Moskau. Eva arbeitet in einem Krankenhaus in Kiew.«
Vanko gab dem Videoband einen Stups in Richtung Arkadi.
»Und? Was sagen Sie?«
Arkadi drehte die Kassette in der Hand. »Ein jüdisches Grab? Ich habe hier nicht viele Juden gesehen.«
»Daran sind die Deutschen und der Krieg schuld. Obwohl im Krieg viele unter den Deutschen gelitten haben, nicht nur Juden. Man hört immer nur von den Juden.«
Arkadi nickte. »Der Genozid und so weiter.«
»Ja.«
»Aber Sie sind anscheinend das inoffizielle Empfangskomitee für jüdische Besucher.«
»Ich versuche nur, behilflich zu sein. Ich habe Ihrem Freund und seinem Fahrer Zimmer in einem dekontaminierten Haus besorgt.«
»Klingt entzückend.« Arkadi wusste, dass das gegen die Vorschriften war, doch er wusste auch, dass Dollars Wunder wirkten. »Haben Sie einen Videorekorder? Ich kann dem Amerikaner doch kein Video verkaufen, wenn ich nicht weiß, was drauf ist.«
»Meiner ist kaputt. Ein paar von der Miliz hatten private auf ihren Stuben, aber sie sind gestohlen worden. Doch keine Sorge, das lässt sich regeln. Behalten Sie das Band.«
»Auf Vanko ist Verlass.« Alex zog sich einen Stuhl an den Tisch. »Vanko kann alles besorgen. Und Ihnen meinen Glückwunsch, Chefinspektor. Noch ein Toter, wie ich höre. Sie bringen den Mörder im Menschen zum Vorschein. Ich vermute, dass das in Ihrem Metier als Talent gilt. Wo ist Eva?«
Vanko zuckte mit den Achseln, und Arkadi antwortete, er wisse es nicht, fragte sich aber gleichzeitig, warum er Evas wegen schon zum zweiten Mal log.
»Sind Sie sicher, dass Sie sie nicht gesehen haben?«, fragte Alex Arkadi.
»Ich komme eben erst aus Kiew zurück.«
»Das stimmt«, bestätigte Vanko. »Sein Motorrad ist noch warm.«
»Vielleicht sollten wir eine Suchmeldung nach Eva rausgeben«, meinte Alex. »Was meinen Sie, Renko?«
»Weshalb machen Sie sich Sorgen?«
»Die Sorgen eines Ehemanns.«
»Sie sind doch geschieden.«
»Das spielt keine Rolle, jedenfalls nicht, wenn einem der andere noch etwas bedeutet. Vanko, könnten Sie uns eine Lage Bier holen?«
»Klar.« Froh, bedienen zu können, zwängte sich Vanko zwischen den Tänzern hindurch zu der Traube am Tresen.
Arkadi wollte mit Alex nicht über Eva sprechen, deshalb sagte er: »So, Ihr Vater war also ein berühmter Physiker, und Sie selbst sind gelernter Physiker. Warum haben Sie auf Ökologie umgesattelt?«
»Wen interessiert das schon?«
»Es ist ein interessanter Wechsel.«
»Nein, interessant ist, dass es weltweit zweihundert Atomkraftwerke und zehntausend Atomsprengköpfe gibt und dass alle in der Hand von inkompetenten Leuten sind.«
»Sie verallgemeinern.«
»Ein Nichtskönner genügt. Darauf ist Verlass, glaube ich.«
Alex senkte vertraulich die Stimme. »Renko, die Sache ist die: Eva und ich sind
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