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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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Stadthauptmann erwartet wurde, weil es am Hafen einen Mord gegeben hatte. Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, und Angst hatte, den Bürgermeister zu verpassen, setzte Henri sich in einen Vorraum und wartete. Von der Kathedrale her drang Geschrei herüber. Was dort wohl geschehen mochte, fragte er sich. Die Menge ist unberechenbar. Jetzt, in Zeiten der Not, verändern sich alle und alles. Vielleicht werden sich Freiwillige finden, um die Stadt zu säubern. Quimper muss unbedingt die Rattenplage bekämpfen. Die Ratten sind das größte Unglück dieser Stadt.
    Mit der Zeit wurde Henri unruhig. Er blickte sich um. An den holzgetäfelten Wänden ringsum hingen große Bilder. Darunter waren viele Märtyrerszenen. Die Enthauptung der heiligen Katharina und ihre Aufnahme in den Himmel wurden gezeigt, ebenso wie der heilige Achaz und das Sterben seiner Märtyrer, blühendes Leben, das für die Vergänglichkeit bestimmt war, Seelen im Fegefeuer und in den Gefilden des Himmels.
    Wir Christen brauchen solche Darstellungen, dachte Henri. Sie helfen uns, mit unserem Schicksal zurechtzukommen. André kam ihm in den Sinn, und er verstand ihn plötzlich besser. Der Hausbesorger hatte solche Abbildungen vielleicht noch nie gesehen, ihm fehlten womöglich der Halt und der Trost, den sie vermittelten.
    Maire Michel kam nicht. Henri fiel eine Legende ein, die er einmal an einem Lagerfeuer gehört hatte: Ein Ritter kam an eine Brücke, unter der ein schwarzer, nebliger Fluss hindurchfloss, der bestialisch stank. Auf der anderen Seite der Brücke sah der Ritter allerdings liebliche Wiesen, die mit wohlriechenden Kräutern und Blumen angefüllt waren, darauf wandelte eine Schar weiß gekleideter Menschen, die sich von der Süße der Blumen nährten und glücklich und zufrieden waren. Was der Ritter nicht wusste, war, dass die Brücke jeden prüfte, der sie überquerte. Jeder Ungerechte, der hinüber wollte, glitt in den schwarzen, stinkenden Fluss. Der Gerechte aber gelangte trockenen Fußes zu dem lieblichen Ort am anderen Ufer. Als er das erfuhr, zögerte der Ritter, denn er wusste nicht, ob er die Überquerung wagen sollte. Er zögerte so lange, bis er alt und grau geworden war, und da war sein Leben zu Ende, und es hatte nur aus Zweifel und Furcht bestanden.
    Dies ist unser Schicksal, dachte Henri. Wir wissen nicht, ob wir zu den Gerechten oder Ungerechten gehören. So wird jeder Schritt schwer, und wir tun ihn in großer Angst.
    Henri stand auf und verließ das Rathaus. Auf dem Platz vor der Kathedrale hatte der Tumult zugenommen.
    »Habt ihr schon davon gehört? Die Juden haben die Seuche in unsere Stadt gebracht. Sie haben die Brunnen mit einer üblen Mixtur aus Menschenblut, Urin, dem Pulver entweihter Hostien und geheimen Zauberkräutern vergiftet.«
    Henri hörte der Landfrau nicht zu, die ihm mit einem lebenden Huhn unter dem Arm entgegenkam. Er ging an ihr vorbei und achtete nicht weiter auf sie. Dann sah er die Menschenmenge, und plötzlich ahnte er, was dort geschah. Er blickte sich zu der Landfrau um. Sie stand unbeweglich da und deutete nachdrücklich auf die Menge vor der Kathedrale. Als Henri einmal kurz geblinzelt hatte, war sie verschwunden.
    Henri kniff die Augen zusammen, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumte. Doch er merkte schnell, dass alles real war, was um ihn herum geschah. Dann wandte er sich wieder der Menge zu. Die Leute waren aufgeregt. Henri erblickte Uthman, der ihre Reden neugierig verfolgte. Und dann sah er auch Sean. Der Junge stand bleich und abgemagert abseits der lautstark diskutierenden Menge im Schatten eines Baums. Henri ging zu ihm.
    »Wie geht es Angélique?«
    »Immer schlechter. Sie liegt wieder da, als bereite sie sich auf ihren Tod vor. Ich konnte es nicht mehr ertragen, ihr dabei zuzusehen, und bin hierher gekommen. Aber hier ist es noch ärger.«
    »Wovon reden die Leute?«
    »Sie geben den Juden die Schuld an der Seuche.«
    »Ich befürchtete es«, sagte Henri. In diesem Moment erblickte er den Bürgermeister und Priester Johannes, der an seiner Seite stand. Und er hörte, wie jemand rief:
    »Dieser Fremde dort, warum hat er in letzter Zeit so viele Kräuter gesammelt? Ich beobachtete ihn, wie er jeden entlegenen Winkel im Wald nach geheimen Kräutern absuchte. Vielleicht hat er ja das Seuchengift bereitet.«
    Alle Köpfe wandten sich Uthman zu. Henri sah, wie der Freund langsam zurückwich. Ihm war anzusehen, dass er ahnte, was geschehen würde.
    »Gehen wir zu Uthman

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