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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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über das lose Straßenpflaster davongaloppieren. Die Menge blieb zurück. Aber ihre Zornesschreie hallten noch lange nach.
    Henri erreichte die Stadtmauer. Wohin sollte er sich wenden? In Quimper konnten sie nicht bleiben. Aber Sean durfte auch Angélique nicht im Stich lassen. Und was wurde aus Uthman?
    Henri verhielt sein Pferd. Es tänzelte nervös auf der Hinterhand und drehte sich im Kreis. Oben auf den Zinnen der Stadtmauer waren jetzt Soldaten aufmerksam geworden. Hinter sich hörte Henri die näher kommenden Rufe der Verfolger. Was sollte er bloß tun?

 
    10
     
     
     
    Mai 1318. Die Rückkehr des Bösen
     
    Quimpers Straßen und Gassen hallten wider vom Lärm. Scharen von Geißlern zogen vorbei, die Männer mit entblößtem Oberkörper, langen Haaren und Bärten, die Frauen in zerfetzten Kleidern und mit bloßen Füßen. Sie geißelten sich, während sie sangen. Immer wieder klatschten die Flagellos, mit nadelscharfen Sporen versehene lange Lederriemen an einem kurzen Holzstab, auf ihre nackte Haut und ließen diese aufplatzen. Blut rann aus den Wunden, und die Wunden wurden immer mehr. Doch die Augen der Büßer leuchteten. Sie waren davon überzeugt, zu den Auserwählten zu gehören. Warum auch sonst hätten sie sich diesen Qualen hingeben sollen?
    »Kommt heraus auf die Straßen! Das Ende naht. Seht die Zeichen der Pest, und tut Buße für Eure Sünden.«
    Der dumpfe Klang von Tambourinen und kleinen Trommeln begleitete die monotonen Beschwörungsformeln. Die Laute schallten von Straße zu Straße, von Platz zu Platz, von Kirche zu Kapelle. Sie klangen wie der schwere, getragene Rhythmus eines elenden Trauergesangs.
    »Alle irdischen Güter sind Tand, denn die Welt ist vergänglich! Wir alle müssen sterben. Besinnt euch auf das Ende! Nur die göttliche Zeit zählt, und ihre Herrschaft ist schon angebrochen. Bereitet euch auf die Abrechnung vor!«
    Ein Waschweib und ein Fleischhauer verfolgten die blutrünstige Szene vor ihren Augen mit angsterfüllten Gesichtern.
    »Gott stehe uns bei«, flüsterte das Weib und schlug das Kreuz. »Jetzt packt der Tod uns am Schlawittchen.«
    »Schwatzt nicht so viel, Muttchen, schon bei dem Gedanken daran dreht sich mir der Magen um«, ächzte der Fleischhauer. »Selbst die Tiere lassen sich nicht mehr so einfach zur Schlachtbank führen, es ist, als seien sie besessen!«
    »Und die Kinder gehorchen den Alten nicht mehr! Die Zeit steht Kopf, seit die Seuche in die Stadt gekommen ist. Denkt an meine Worte!«
    Und wieder erklang der Schrei eines Flagellanten: »Reinigt eure Seelen! Unsere Zeit läuft ab! Nur die göttliche Zeit ist unvergänglich! Ihr glaubtet, auf sicherer Erde zu wandeln, doch nun seht ihr, wie zweifelhaft alles Irdische ist!«
    Der Fleischhauer zuckte zusammen. Nervös zupfte er an seiner blutgetränkten Schürze herum. Dann sagte er: »Man hört, dass es oben im Deutschen Reich Feuer vom Himmel regnet und die Saat auf den Feldern verdorrt. Es gibt Mord und Totschlag, der Schnitter geht um, und die heiligen Brüder in den Klöstern rüsten sich zur Wallfahrt nach Jerusalem, weil sie glauben, nur dort das göttliche Gericht überleben zu können.«
    »Davon habe ich auch schon gehört«, entgegnete das Waschweib. »Andere wollen auch weiter nach Norden pilgern, um der Pest zu entkommen, dorthin, wo die Rus und die Khasaren wohnen. Und noch weiter nördlich, in Sibirien, sagt man, sei ein Engel auf einem Stern niedergegangen und halte dort seitdem Gericht über die Sünder.«
    »Hat er auch über sie die Seuche gebracht?«
    »Das weiß ich nicht. Aber er lässt sicher auch andere Gräuel nieder regnen.«
    »Wir haben alle gesündigt«, sagte ein Kaufmann, der hinter den beiden stand. »Doch meine Geschäfte waren immer ehrlich.«
    »Ha!«, schrie ein Tagelöhner. »Da schau an. Er will in den Himmel! Brüder, hier seht ihr einen, der schon einen Platz neben dem Herrgott gemietet hat! Wie viel Dukaten kostet so ein Platz im Himmel, Monsieur?«
    Der Kaufmann sah das von Beulen entstellte Gesicht des Tagelöhners angewidert an. »Was erlaubst du dir, Kerl? Rechtschaffene Menschen wie ich brauchen sich das Himmelreich nicht zu erkaufen, sie haben mit Sündern, wie du es bist, nichts gemein! Das Reich Gottes ist nur eine Bedrohung für die Unredlichen, den Aufrichtigen ebnet allein die Gnade unseres Herrn den Weg.«
    Immer mehr Geißler kamen in die Stadt. Die Einwohner von Quimper blickten ihnen starr vor Ehrfurcht entgegen, viele bekreuzigten sich. Auch

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