Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
Vom Netzwerk:
Kinder begleiteten den Zug, sie führten Hunde und Ziegen mit sich. Der Anführer trug ein schweres Holzkreuz auf dem Rücken, dessen Last ihn schier zu Boden drückte.
    »Das Ende der Zeiten naht!«, kreischte eine Flagellantin. »Und mit dem Ende der Zeit bricht das Reich Gottes an! Wir sind alle große Sünder. Lasst uns Buße tun, um uns auf diesen Tag vorzubereiten!«
    Unablässiges Beten untermalte die Worte der Geißler. Und immer wieder schlugen die Ruten und Riemen auf ihre Körper ein, das Ächzen und Stöhnen nahm zu und vermischte sich mit dem Geruch nach Blut und Schweiß. Von überall her strömten Menschen herbei, Schaulustige ebenso wie weitere bußfertige Flagellanten. Besonders viele sammelten sich auf dem Platz vor der Kathedrale. Die Menge wuchs unaufhörlich. Seit der Flucht zweier Verdächtiger – es mussten Brunnenvergifter gewesen sein – steigerte sich die Angst zur Panik, Panik angesichts des Todes und des Endes der Welt. Die Gaukler, Kinder und Jahrmarktschreier sprangen mit Gespött, Gelächter und Pfeifenmusik herum und bildeten einen verstärkenden Kontrast zu dem allgemeinen apokalyptischen Entsetzen.
    Eine Gruppe von Frauen fiel auf die Knie. Im Schmutz der Straße vor dem Bischofspalast sahen sie den angemessenen Platz für ihre Selbstanklagen. Sie wollten sich dem Messias hingeben, damit er sie von aller Schuld befreie.
    Die Zahl der Seuchenopfer stieg weiter. Die Frage nach ewigem Leben oder ewiger Verdammnis stellte sich in den Köpfen der Menschen immer drängender. Wohin würde man kommen, zu den Gottlosen oder den Gerechten? Das war es, was die meisten bewegte.
    »Der Messias ist nahe! Fürchtet euch nicht, denn sein Licht wird unsere Finsternis erhellen. Gebt euch ihm hin, denn er nimmt jeden auf, der ihn aufrichtig liebt!«
    »Quatschkopf!«, schrie eine junge Frau. »Stell dir vor, wie du mit Pestbeulen im Gesicht aussiehst! Meinst du, der Herr will dich dann noch bei sich haben?«
    »Die Kranken und Armen nimmt der Herr besonders gerne auf, ganz gleich, wie entstellt sie sind. Denn sie sind die wahren Leidtragenden, sie sind unschuldig wie die Kinder.«
    Auf der Baustelle an der Kathedrale wurden, als es dunkelte, Pechfackeln angezündet. Davor loderten brennende Abfallhalden wie überall in der Stadt. Die Feuer flackerten hoch auf und verbreiteten ein unwirkliches Licht.
    »Unser irdisches Leben ist Abfall im Feuer des Herrn!«, schrie ein Büßer auf einer Tonne. »Es genügt sich nicht selbst, auch wenn es euch so scheint! Es erhält seinen Sinn erst durch unseren Einzug ins Himmelreich! Alles ist vergänglich! Doch habt keine Angst. Die Pest wird an euch vorübergehen, wenn ihr nur bereut! Darum büßt für eure Sünden, büßt um Gottes willen!«
    Die Einwohner von Quimper waren von Worten wie diesen gebannt. Wenn sie sich nicht ängstlich und angewidert abwandten, hingen sie an den Lippen der Geißler wie die Blutstropfen, die dort allenthalben zu sehen waren. Dieser Tag war für sie etwas ganz Besonderes, denn er hatte ihnen einen Fingerzeig Gottes beschert. Darum wurde jetzt gefeiert, zwischen all den hoch aufflackernden Feuern, die eine frische Brise vom Meer immer stärker anfachte, bis sie überall kräftig aufloderten.
    Am Rand des Kirchplatzes hatte sich jetzt auch eine fahrende Gauklertruppe postiert, um die Passionsgeschichte Christi nachzustellen. Zu der Truppe zählten auch zwei Feuerschlucker, die die Darstellungen ihrer Kollegen in ein imposantes Licht tauchten. Die beiden muskulösen Männer ließen immer wieder helle Flammen auflodern, die einige Meter in die Höhe schossen, bis sie zerstoben und über den Köpfen der Umstehenden erloschen.
    Im Schein all dieser Flammen und Abfallfeuer schien es, als wären die gefürchteten Höllenmonster, die man doch eigentlich abzuwehren suchte, bereits in Quimper erschienen, um den Menschen einen Vorgeschmack auf das zu geben, was sie erwartete. Es war ein grausiger Anblick in all seiner höllischen Pracht.
     
     
    Henri und Sean hörten Lärm aus der Ferne. Sie hielten sich ruhig, obschon sie wussten, dass das Geschrei im Moment nicht ihnen galt. Mit einem Mal mischte sich die helle Stimme des Bürgermeisters darunter. Henri und Sean konnten hören, was er sagte, denn der Abendwind trug seine Worte zu ihnen herüber. Er sprach von dem Gottesmörder, der bereits im Kerker saß, und davon, dass man alles daransetzte, den anderen auch noch aufzugreifen.
    Den beiden Gefährten gegenüber saß ein hagerer, bleicher

Weitere Kostenlose Bücher