Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
Vom Netzwerk:
gut und richtig ist. Ihr gegenüber sind wir machtlos und ohne Gegenwehr.
    Sean ergriff eine Hand Angéliques. Sie war heiß, trocken und kraftlos. Sean hielt sie fest. Dann kroch er zu der Geliebten und legte sich neben sie.
    Angélique erschauerte manchmal, ihren Körper durchfuhr ein Zucken, ein Beben. Dann lag sie wieder still. Ich bleibe so lange neben ihr liegen, bis wir beide sterben, dachte Sean. Was soll ich noch draußen in der Welt, wenn Angélique nicht mehr bei mir ist. Sie soll mich endlich anstecken, damit ich ihr Schicksal teilen kann.
    Von draußen drangen nur selten Geräusche in die Kammer. Hin und wieder war das Geläut der Pestglocken zu hören, dann zog wieder ein Totenkarren mit hoch aufgetürmten Leichen durch die Straßen. Am Mittag rief die Glocke von Saint-Corentin die Gläubigen zum Gebet. Aber es kamen immer weniger Menschen, um die Botschaften von Priester Rohan zu hören.
    Was half sein schwacher Trost im Angesicht der Pest?
    Sean legte seinen Arm um Angélique. Er spürte, wie sie wieder zitterte. Plötzlich bäumte sie sich auf. Sie fuhr in die Höhe und sah verständnislos um sich.
    »Angélique!«
    »Wer bist du?«
    »Angélique! Ich bin es, Sean, du kennst mich doch!«
    »Sean? Bist du der, der in meinen Träumen erscheint, um mich hinunterzuziehen?«
    »Du redest im Fieber, Angélique! Ich glaube, ich hole Magister Priziac.«
    »Ich fühle mich so alt. Ich denke, ich werde tanzen. Es ist an der Zeit. Ich wollte nicht tanzen, aber jetzt werde ich es müssen. Begleite mich doch ein Stück, süßer Junge.«
    »Nein, Angélique, du wirst nicht tanzen. Leg dich wieder hin. Ich bringe dir Wasser und Brot, wenn du magst?«
    »Was soll ich mit Wasser und Brot! Ich will Leben! Ich will Blut! Ich bin eine junge Frau! Ich will, dass es aufhört, mich von innen her aufzufressen.«
    »Bleib im Bett, Angélique! Ich gehe hinunter und hole frisches Wasser. Sicher willst du dich waschen!«
    »Aber Wasser bringt den Tod, hat Magister Priziac das nicht gesagt? Im Wasser sitzt die Seuche und lacht uns alle aus. Gehe hinunter, mein Freund, ich mache mich inzwischen schön für den Tanz. Dann gehen wir aus.«
    Sean stürzte die Stiegen hinunter. Er füllte Wasser aus dem Brunnen in eine Schüssel, nahm ein Tuch und ging so schnell er konnte die Stiegen hinauf. Im Zimmer war es still. Er stieß die Tür auf.
    Angélique lag mit weit geöffneten Augen seitlich zusammengekauert auf dem Lager. Sean erstarrte. Er wollte seine Geliebte rufen. Aber dann begriff er, dass sie ihm nicht mehr antworten konnte. In diesem Moment erkannte er, dass sie gestorben war.
    Sean stellte leise die Schüssel ab, als wollte er Angélique nicht stören. Er fühlte, wie ihn ein eisiger Schauer durchfuhr. Schritt für Schritt näherte er sich dem Totenlager.
    Er schloss die Augen seiner Liebsten und richtete den erschlafften Körper so her, dass Angélique gerade auf dem Rücken lag. Dann deckte er die Tote zu. Er strich ihr das wirre, verklebte Haar aus der Stirn und wusch ihr Gesicht mit Wasser sauber. Als er das getan hatte, setzte er sich an das Lager und blickte Angélique ruhig an.
    Plötzlich vernahm er eine Stimme. Erstaunt blickte er sich um. Dann begriff er, dass es seine Stimme gewesen war, die er gehört hatte. Er hatte zu Angélique gesprochen. Er würde sich jetzt von ihr verabschieden müssen.
    Er versuchte, seiner Geliebten diesen schmerzlichen Umstand zu erklären. Aber dann hörte er ihre Stimme in seinem Inneren. Sie sagte ihm, dass die Trennung nicht sein müsse. Er könne jetzt zu ihr kommen. Dann wären sie für immer vereint.
    Sie hatte Recht, dachte Sean und blickte auf die Tote, dieser Gedanke war ihm vorhin selbst schon einmal gekommen. Er brauchte nur zu ihr zu gehen!
     
     
    Die Krankheit wütete mit aller Macht. Auch die eifernden Predigten der Geistlichen hatten nicht geholfen. Nun hatte man beschlossen, jeden Tag gemeinsam in der Kathedrale zu beten. Eine Woche lang sollte nichts anderes getan werden. Henri überlegte, ob er sich den Aufrufen der Geistlichkeit anschließen sollte, um den Erkrankten wenigstens geistigen Beistand zu leisten.
    Doch das war nicht sein Weg.
    Aber auch mit dem Schwert war die Seuche nicht zu besiegen. Vielleicht war sie überhaupt nicht zu besiegen, und es war einerlei, was man tat.
    Es war grauenhaft zu spüren, wie man, obschon körperlich ganz gesund, von einer Art geistigen Seuche befallen wurde, die einem einflüsterte, aufzugeben und alle Hoffnungen fahren zu

Weitere Kostenlose Bücher