Treue in Zeiten Der Pest
verabschiedete sich von den beiden Männern.
Völlig zufällig begegnete Henri noch am gleichen Abend den dreißig Leuten, von denen der Bader gesprochen hatte. Magister Priziac lief ihm erneut über den Weg, als er gerade mit zwei Heilern auf dem Weg zu jenem Haus war, von dem der Pestbader gesprochen hatte. Priziac hatte die Aufgabe übernommen, zu kontrollieren, ob bei der Behandlung von Kranken und Gesunden alles mit rechten Dingen zuging. Die Heiler verfügten über Kenntnisse, über die der Magister nicht sprechen wollte.
»Sie haben mich mit ihren Bemerkungen zu den Kräutern im Krankenhaus auf eine Idee gebracht«, war das Einzige, was er über sie sagen wollte.
Henri drang auch nicht weiter in ihn, er war froh, dass er Priziac noch einmal begleiten durfte.
Schon bald kamen sie zu einem niedrigen Bau, um den zahlreiche Feuer brannten. Die einzige Tür war von einem gelben Desinfektionsmittel durchnässt. Der Bader, der davor stand, wollte ihnen den Eintritt verwehren, aber Priziac machte ihm klar, dass er im Auftrag des Stadtrats handelte.
»Öffnet die Tür«, forderte der Arzt den Bader auf. Und dieser rief laut: »Hier kommen Leute von der Präfektur, sie wollen euch helfen. Macht auf!«
Von drinnen waren Stimmen zu hören. »Sie sollen verschwinden. Wir helfen uns selbst.«
Der Bader blickte Priziac hilflos an. Dieser wandte sich darauf selbst an die Menschen hinter der Tür und rief laut: »Ich bin Arzt und habe euch zwei Wunderheiler mitgebracht, die können euch besser behandeln als ihr selbst.«
»Wer garantiert uns das?«, schrie eine Frauenstimme von drinnen.
»Ich, Magister Priziac!«
Die Tür wurde langsam von innen geöffnet. Misstrauisch starrte ihnen ein verhärmter, bärtiger Mann entgegen. »Wenn ihr uns wirklich helfen könnt, dann kommt herein.«
In dem einzigen Raum, den das Haus besaß, stank es erbärmlich. Die dreißig Menschen hatten in einer Ecke ein Loch für ihre Notdurft ausgehoben. In der Mitte brannte ein Feuer mit einem Wasserkessel darüber. Zwölf Männer und zwölf Frauen jeden Alters sowie sechs Kinder starrten die Eintretenden feindselig an, ohne sich zu rühren.
»Ihr müsst keine Angst haben«, sagte Priziac. »Ich habe Erfahrung mit der Seuche, und meine Begleiter sind erfolgreiche Heiler.«
Eine junge Frau mit einem länglichen Gesicht fragte weinend: »Könnt ihr verhindern, dass wir die Pest bekommen? Dann tut es, bitte! Ich habe solche Angst! Wir leben hier mittlerweile wie die Tiere!«
»Sei still!«, befahl der Mann, der die Tür geöffnet hatte.
Der Magister winkte die Heiler herbei. Die beiden Männer trieben die Zimmerinsassen neben der Feuerstelle zusammen. Erst jetzt fielen Henri ihre alten und exotischen, dunklen Gesichter auf. Die Männer legten sich Fuchsfelle auf die Schultern, hielten mit einem Mal Wollknäuel und Rasseln in der Hand und begannen, mit weibischer Stimme zu sprechen.
»Ihr nehmt zu viele Wurzeln zu euch. Die Wurzeln kommen aus der Erde und stehen mit der Unterwelt und den Krankheiten im Bunde. Weg damit.«
Sie streuten Fischmehl um die Versammelten herum aus. Dann begannen sie, die Menschen mit Tran einzureihen, auf die fettige Haut legten sie Vogelfedern. Schnell stieg aus kleinen Opferschälchen Kräuterrauch auf, den die Heiler in die Runde bliesen.
Henri sah dem Treiben skeptisch zu. So weit hatten es Uthman oder Joshua nie getrieben.
»Wer ist euer Anführer?«, fragte einer der beiden Heiler.
Der Mann, der die Tür geöffnet hatte, stand auf. Der Heiler stieß ihn aus dem Kreis der anderen und massierte ihm die Schulter- und Nackenpartie, dann ergriff er die Arme des Mannes und nacheinander alle Finger und zog daran. Sein Begleiter hob den Mann an und schüttelte ihn kräftig durch. Dann stellte er ihn wieder auf den Boden und drückte mehrmals auf seinen Brustkorb.
Jetzt sagte Priziac leise neben Henri: »Sie wollen die Knochen und Organe wieder in ihre richtige Position bringen. Sie glauben, dass diese in Unordnung geraten sind, vor allem jene im Brust- und Bauchraum, und dass die Krankheit deshalb widerstandslos von ihnen Besitz ergreifen kann.«
»Wenn die Leute glauben, es wird das Richtige für sie getan«, mutmaßte Henri, »werden sie mitmachen. Schaden kann es nicht, aber ob es hilft? Ich habe da meine Zweifel.«
»Jede Heilung beginnt mit der Bereitschaft, geheilt zu werden«, sagte der Magister. »Sie breitet sich zuerst in der Seele aus, und diese Menschen sind bereit dafür.«
Henri
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