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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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der Lage waren, nur zuhörten. Aber alle hatten die Köpfe erhoben und starrten zu den Arbeitszimmern des Stadthauptmanns und des Vogts hinauf. Noch immer zeigte sich niemand.
    Da flog plötzlich ein Stein zu den Fenstern empor. Doch er verfehlte sein Ziel und prallte an der Mauer ab. Die Menge verstummte. Dann flog ein zweiter Stein. Mit einem lauten Klirren durchschlug er eines der Fenster mit den dicken Butzenscheiben. Sofort wurde eines der Nebenfenster aufgerissen, und der Vogt zeigte sich mit zwei Bütteln an der Seite.
    »Geht nach Hause, Leute! Sonst müssen wir die Soldaten auf euch hetzen.«
    »Öffnet ihr besser die Tore! Sonst bekommt ihr unsere Wut zu spüren!«
    »Der Obrigkeit widersetzt man sich nicht, Leute von Quimper! Das wird üble Folgen haben!«
    »Es wird üble Folgen haben, wenn ihr uns weiter einsperrt!«
    »Wir haben Verpflegung bis zum Jahresende! Wir warten das Ende der Seuche ab, dann werdet ihr zur Rechenschaft gezogen!«
    »Wir werfen euch eine Pestleiche in den Rathaussaal, dann wird es euch nicht anders ergehen als uns!«
    Das Wortgefecht wogte noch eine Weile hin und her. Die Gefährten hörten wortlos zu. Nachdem sich die aufgewühlte Stimmung ein wenig beruhigt hatte, trat auch der Stadthauptmann ans Fenster. Er hatte rote Flecken im Gesicht und sagte in die atemlose Anspannung hinein:
    »Wir lassen euch nicht allein, liebe Leute, das müsst ihr uns glauben. Wir suchen beständig nach Auswegen aus unserer elenden Lage. Auch wir wollen von der Seuche erlöst werden, das ist doch klar. Aber wir werden jeden zur Rechenschaft ziehen, der die Gesetze missachtet.«
    »Die Seuche missachtet die Gesetze seit langem! Zieht gefälligst sie zur Rechenschaft, sperrt sie ein!«
    Ein bitteres Lachen ertönte. Dann flog ein weiterer Stein. Der Stadthauptmann verschwand vom Fenster. Kurz darauf erschienen Soldaten an seiner Stelle, die Möbelstücke auf die Menge herabwarfen. Einige Leute wurden getroffen und stürzten zu Boden. Die anderen stoben auseinander.
    »Das Maß ist voll«, sagte Uthman leise. »Sie begreifen nicht, dass die Bürger endlich erlöst werden wollen. Warum öffnen sie diese verdammten Tore nicht?«
    »Damit würden sie zugeben, dass ihre Maßnahme falsch war und dass sie unfähig sind«, mutmaßte Joshua.
    Sean, der lange geschwiegen hatte, seufzte. »Ich ertrage das hier alles nicht länger«, sagte er dann. »Ich gehe sofort zum Friedhof zurück, um Abschied zu nehmen. Danach steht unserem Aufbruch nichts mehr im Weg. Vielleicht können wir schon heute Nacht von hier verschwinden.«
    »Lass uns nichts überstürzen«, sagte Uthman. »Warte wenigstens noch auf Henris Rückkehr, bevor du zum Friedhof gehst, Sean. Es wird schon alles gut werden.«
     
     
    Die Hitze in der Stadt nahm jetzt immer weiter zu. Der allgegenwärtige Verwesungsgestank wurde unerträglich.
    Es war, als wollte die Natur die Geduld der Menschen auf eine unendliche Zerreißprobe stellen, bei der die Nerven mit jedem Ereignis mehr und mehr angespannt wurden. Bis zum Abend wurde es innerhalb der Stadtmauern so schwül, dass jeder eine Abkühlung vom Meer herbeisehnte. Die Qual wurde noch dadurch verstärkt, dass die Leute das Meer zwar überall riechen und sogar sehen konnten, wenn sie auf den Turm der Kathedrale stiegen, es aber unerreichbar für sie war. Es war eine Verheißung in unerreichbarer Ferne.
    Als Henri bei Monacis eintraf und ihm von seinem Plan erzählte, ließ dieser sich nicht lange bitten. Er machte sich sofort auf zur Präfektur. Henri begleitete ihn. Als sie am Rathausplatz ankamen, war die Menge weitgehend zerstreut, nur ein paar Verletzte lagen noch vor dem Rathaus herum. Die Gefährten berichteten, was geschehen war.
    »Holt zwei der Ärzte aus dem Spital«, bat der Medicus. Sean bot sich an, diese Aufgabe zu übernehmen, und rannte sofort los. Der Medicus stellte sich vor den Eingang des Rathauses und rief hinauf: »Ich kann Ihnen einige neue Fakten präsentieren, meine Herren, die sie sehr interessieren werden!«
    Oben zeigte sich der Stadthauptmann. Er erkannte den Arzt und gab Anweisung, ihn hereinzulassen. Bevor Monacis im Gebäude verschwand, wandte er sich noch einmal zu den Gefährten um und bat diese, unter allen Umständen auf seine Rückkehr zu warten.
    Joshua und Uthman fuhren inzwischen fort, den Verletzten zu helfen, die stöhnend vor dem Rathaus lagen. Sie hatten damit begonnen, als die Situation auf dem Platz eskaliert war. Jetzt half auch Henri ihnen. Einige unter

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