Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
seine Beziehung zur Auftraggeberin sowie den Grund für ihren Verdacht fest. Ich notiere mir auch Ort, Datum und Uhrzeit des Tests und lasse dann meist noch etwas Platz für etwaige Anmerkungen.
Das sind die Informationen, die mir vor dem Test vorliegen. Auf der nächsten Seite folgt dann eine Art Nachbericht – eine möglichst genaue Schilderung der Ereignisse (soweit ich mich eben erinnere) inklusive Uhrzeiten und Ortsangaben, bis hin zur Zimmernummer. Meine Arbeit ist eine Arbeit wie jede andere, und wenn ich professionell auftreten will, muss ich sie entsprechend ernst nehmen.
Außerdem kann man nie wissen, ob sich diverse Informationen nicht später noch als nützlich erweisen.
Wie zum Beispiel im vorliegenden Fall.
»Ist er das, dieser Raymond Jacobs?«, wollte Zoë wissen und deutete auf das Foto, das ich mit einer Heftklammer an der Innenseite des Deckblattes befestigt hatte.
Ich betrachtete das Gesicht auf dem Foto und schauderte unwillkürlich, als ich seinen stechenden Blick auf mir ruhen fühlte. Genau so hatte er mich angesehen, als ich ihm in seinem Büro gegenübergesessen hatte. Mit diesem Ausdruck tiefster Befriedigung, weil er wusste, dass er mich in der Hand hatte. Dass ich ihm hilflos ausgeliefert war.
Doch bald würde sich das Blatt wenden.
Jedenfalls hoffte ich das.
Ich überblätterte die zahlreichen Artikel, die ich über Raymond Jacobs, Kelen Industries und die Automobilindustrie allgemein gesammelt hatte, bis ich schließlich fand, wonach ich suchte.
Auf die Rückseite des Lebenslaufes hefte ich meist ein paar lose Zettel – die Stichworte, die ich mir während des Erstgesprächs mit der Auftraggeberin notiere, während sie mir ihre nur allzu vertraute Geschichte erzählt. Das Rohmaterial sozusagen, aus dem ich dann die erforderlichen Informationen für den Lebenslauf filtere.
Und hier auf diesen Zetteln befanden sich die zwei Zeilen kaum leserlichen Gekritzels, nach denen ich so fieberhaft gesucht hatte. Ein winzigkleines Detail, das – für sich betrachtet – unwichtig erscheinen mochte. In dem richtigen Kontext jedoch war genau das Gegenteil der Fall.
Mir geisterte eine Bemerkung durch den Kopf, die Anne Jacobs gegen Ende unseres ersten Meetings hatte fallen lassen. Wir waren schon auf dem Weg zur Tür gewesen, da hatte sie mich um Diskretion gebeten.
»Eines noch«, hatte sie gesagt. »Ich möchte Sie bitten, absolutes Stillschweigen zu bewahren. Der Ruf meines Mannes ist fast
genauso wichtig wie der Ruf der Motoren, die seine Firma produziert.«
Ich war stehen geblieben, hatte meine Mappe noch einmal aufgeschlagen und mir ein paar letzte Worte notiert.
»Selbstverständlich«, hatte ich erwidert. »Ich hab’s mir aufgeschrieben. Und ich versichere Ihnen, Verschwiegenheit ist für mich oberstes Gebot. So, wie ich von meinen Klienten erwarte, mit meinen Kontaktdaten diskret umzugehen.«
»Was zum Geier soll das heißen?«, fragte Zoë, die sich, über meine Schulter gebeugt, vergeblich bemühte, meine Handschrift zu entziffern. Ich blickte auf die Mappe in meinen Händen. Da stand es, schwarz auf weiß, genau wie ich es in Erinnerung gehabt hatte: Streng vertraulich. Ruf des Testobjekts hat oberste Priorität.
Ich klappte die Akte zu und schenkte Zoë ein zuversichtliches Lächeln. »Das heißt, er hat eine Menge zu verlieren.«
»Aha«, sagte sie etwas enttäuscht. Das Ganze entsprach wohl nicht gerade den Da-Vinci-Code-ähnlichen Szenen, auf die sie gehofft hatte. Ich erhob mich und schob die Schublade mit der Ferse zu. »Und seine Frau weiß genau, wie viel das ist.«
Nachdem Zoë gegangen war, schlug ich noch einmal die Akte auf und wählte bedächtig die unter der Rubrik »Klientendaten« notierte Telefonnummer. Ich hoffte inständig, dass Anne Jacobs meinen Anruf überhaupt entgegennehmen würde, nach allem, was sie im vergangenen Monat erlebt hatte.
»Hallo?«, tönte es fröhlich und beschwingt aus dem Hörer.
Ich dagegen konnte meine Nervosität nicht verhehlen. »Guten Tag!« Meine Stimme klang schrill. Ich räusperte mich. »Ähm, guten Tag … Mrs. Jacobs?«
»Am Apparat.«
»Hallo … Äh … Ashlyn hier.« Mein zweifelnder Tonfall implizierte schon, dass ich mich fragte, ob sie sich an mich erinnerte, beziehungsweise ob sie überhaupt mit mir sprechen wollte.
Es entstand eine lange Pause. Bestimmt würde sie gleich auflegen – oder dachte jedenfalls ernsthaft darüber nach. Ich sah auf die Uhr über meinem Backofen und fühlte mich sehr
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