Trias
seine Patienten waren ihm treu, ihre Krankenakten kannte er aus dem Kopf. Und kam ein neuer Patient, hatte er die Freiheit, ihm abzusagen oder ihn anzunehmen. Außerdem lebten in Alexandria genügend begüterte Menschen, die sich eine Zahnarztbehandlung leisten konnten, ohne krankenversichert zu sein. Weizman hatte sich schon vor Jahren am Ende der King Street, dort, wo sie auf den Fluss Potomac stößt, ein kleines Reihenhaus im Kolonialstil gekauft, umgebaut und im Erdgeschoss den Warte- und Behandlungsraum eingerichtet. Die Holzbalken des Hauses waren mit roten Klinkersteinen eingefasst; auf der offenen Veranda vor dem Erdgeschoss standen für seine Patienten zwei Mahagonitische und mehrere Korbstühle bereit.
In der Nachbarschaft von Weizmans Praxis befanden sich Restaurants und teure Boutiquen, einen Steinwurf weiter begannen die Hafenanlagen des Flusses. Er leistete sich gerade mal eine Sprechstundenhilfe, die allerdings auch nur dreimal in der Woche kam.
Dass er sich unlängst von einem Mitarbeiter des Distrikt-Verbandes niedergelassener Dentisten überreden ließ, einen weiblichen Trainee für drei Monate aufzunehmen, ärgerte ihn schon wieder. Die nicht mehr ganz so junge Studentin mit den offensichtlich asiatischen Wurzeln war ihm zwar sympathisch; doch wollte sie die ersten Tage zunächst nur hospitieren, bevor sie ihm direkt am Patienten assistierte. Und als sie ihn mit intimen Fragen über seine Patienten und ihre grundsätzliche Einstellung zu Gesundheit und Vorsorge löcherte, bereute er seine Entscheidung.
Senator Gordon Smith kam seit mehr als fünfzehn Jahren in seine Praxis. Er lebte mit seiner Familie in einem prächtigen Haus in Old Town; seine beiden Kinder Florentine und Lance - zwölf und fünfzehn Jahre alt - hatte Weizman schon behandelt, als sie kleine Kinder waren und die Milchzähne locker wurden. Auch dessen Frau Linda, eine Rechtsanwältin, war seine Patientin. Smith’ heutiger Behandlung waren wieder einmal etliche Anläufe vorausgegangen. Eigentlich war es für ihn nur ein Routinetermin, der allerdings schmerzhaft werden könnte. Der Senator hatte schon seit längerem über eine Temperaturempfindlichkeit an einem seiner oberen Mahlzähne geklagt. Den daneben liegenden Eckzahn hatte Weizman bereits schon vor einigen Monaten von hinten angebohrt, von Zahnfäule befreit und mit einer Füllung versehen. Vermutlich war auch jetzt wieder das Gleiche zu tun, wobei Weizman den Zahn wegen einer vorhandenen Karies von unten bis kurz vor die Wurzel würde aushöhlen müssen.
Weil Ferienzeit war, hatten die beiden Kinder des Senators schulfrei und seine Ehefrau ein paar Urlaubstage genommen. Der Politiker war noch kurz bei ihnen vorbeigefahren, hatte, wie verabredet, den Fisch fürs Abendbrot vorbeigebracht und fuhr anschließend weiter in die Zahnarztpraxis. Als die Wagenkolonne des Senators eintraf, war es elf Uhr.
Die Fahrer, das Double und die zwölf Bodyguards blieben vor der Praxis in ihren schwarzen Lincolns sitzen. Der weibliche Trainee empfing Smith mit warmen Worten und begann in plauderndem Ton ein Gespräch. Smith war es recht; er mochte Weizman, er vertraute ihm, doch zahnärztliche Eingriffe konnte er überhaupt nicht leiden. Da kam ihm ein bisschen Ablenkung gerade recht. Weizman steckte den Kopf durch die Verandatür, begrüßte seinen prominenten Patienten und sagte, er sei gleich für ihn da.
Dann winkte er die Hospitantin zu sich und forderte sie auf, zunächst die Unterfüllung und dann das Amalgam-Gemisch anzurühren. Er selbst würde in seinem zweiten Behandlungszimmer den Patienten von zehn Uhr zu Ende versorgen.
Die Studentin entnahm einer Glasvitrine das Legierungspulver, einen Keramiktiegel, einen winzigen Löffel und einen Schaber. Sie mischte das Amalgam in der normalen Dosis aus Silber, Zinn, Kupfer und Zink ineinander. Dann griff sie blitzschnell in ihre Kitteltasche und förderte ein in Folie eingeschweißtes Tütchen und eine winzige, mit einer Flüssigkeit aufgezogene Pipette zutage. Sie riss das Tütchen auf und streute das darin enthaltene, stark bitter riechende Pulver in den Tiegel. Dann knickte sie die Glasspitze der Pipette ab und träufelte zwei zähflüssige Tropfen auf das Gemisch. Es roch nach Vanille und half, das Gemisch nicht vorzeitig auszuhärten. Mit dem Schaber vermengte sie den grauen Brei zu einer konsistenten Masse.
Auf der Veranda las Smith indessen in einer der zahlreichen Illustrierten, die auf einem der beiden Tische verstreut
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