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Trias

Titel: Trias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Kayser
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Handkuss zu. Sie träumte ihm kurz hinterher und versenkte dann wieder ihren Kopf in den Papieren. Kaltenborn brabbelte irgendeinen Kommentar dazu.
    Sein Büro war nicht so, wie jedermann ein Büro gerne hat. Im Gegensatz zu den nüchtern eingerichteten Räumen seiner gleichrangigen Kollegen sah Croy auf eine Mischung aus Bibliothek, Museum und Hightechlabor. Es erzählte Geschichten. Drei von vier Wänden des geräumigen, hellen und stillen Raumes waren von Regalen eingekeilt, die vom Fußboden bis an die Decke reichten. In ihnen stapelten sich Bücher über Forensik, Profilanalysen, Observationstaktiken, Psychologie, Innere Sicherheit, Allgemeines Strafrecht, Strafvollstreckungen und Abhandlungen über Vernehmungsmethoden und Spurenanalysen. Dazwischen hatte Kaltenborn Kästen mit alten Revolvern, Messern und Spezialwerkzeugen gestellt, die die Fachbereiche voneinander trennten. Vor einem grau lackierten Safe in einer Ecke stand ein schwarzer Lederstuhl, auf dem es sich bequem saß, wenn man in geheimen Akten stöberte. Wie Fremdkörper wirkten dagegen die vier Kunstdrucke des Expressionisten Alexej von Jawlensky an der einzigen regalfreien Wand. Dessen bis zur Abstraktion reduzierte Gesichtsporträts schätzte Kaltenborn sehr. Jawlensky selbst hatte sie Meditationen genannt, und als solche nutzte der BKA-Vize sie auch oft.
    Der weit ausladende Schreibtisch protzte ungeniert mit seinem Preis, der Chefsessel nicht minder. Ein Bildschirm war auf der Tischoberfläche eingelassen, auf dem Kaltenborn per Fingerdruck nicht nur Verbindungen ins Internet herstellte, sondern sich auch mit Behörden anderer europäischer Länder verband.
    Akten, Tages- und Wochenzeitungen, Magazine der Kriminalistik und Gesetzveröffentlichungen der vergangenen Monate lagen auf dem Tisch oder auf dem Boden verstreut herum oder waren zu kleinen Türmen aufgeschichtet. Die Jalousien vor den Fenstern hingen auf halber Höhe. Croy fand den Raum zu dämmrig, sagte aber nichts.
    »Einen Whisky?«, fragte Kaltenborn in gönnerischem Ton, während er sich hinter den Schreibtisch pflanzte.
    »Gern«, hörte Croy sich sagen, obwohl es mit knapp zehn Uhr viel zu früh dafür war.
    Kaltenborn schnalzte mit der Zunge, langte unter den Tisch nach zwei Gläsern und einer Flasche fünfzehn Jahre altem Cardhu . Er hielt sie gegen das Licht.
    »Sie ist beinahe noch voll«, freute er sich, während er sie tätschelte. Er goss beide Gläser einen Daumen breit ein und toastete: »Markus, das Leben könnte so schön sein.« Beide genossen sichtbar ihren ersten Schluck.
    Croy blickte verstohlen zu Kaltenborn hinüber, der versonnen aus dem Fenster sah. Sein Chef war ein Mentor für ihn geworden. Nach so einem Vorbild hatte er lange gesucht. Ihm vertraute er, denn der BKA-Vizepräsident war zu ihm aufrichtig, forderte und förderte ihn. Seine Gedanken kippten in die Vergangenheit, dorthin, wo alles begann.
    Seine Karriere war zwar typisch für den höheren Polizeidienst der Wiesbadener Behörde - Studium, Straßenpraxis, öde Ermittlungsarbeit -, seine Herkunft und Motivation waren aber so typisch nicht. Als Kind verbrachte er fünf Jahre in einem Kinderheim. Seine Erinnerungen daran waren spärlich und ungenau. Als ihn ein kinderloses Ehepaar aufnahm, erlebte er fortan eine christlich geprägte Erziehung, die den zivilen Ungehorsam beförderte.
    Seine neuen Eltern hatten erlebt, wie russische Panzer in Prag Hoffnungen auf eine Abkehr vom ideologischen Sozialismus zerstörten. Sie versuchten, in der Kindheit und später in der Schulzeit ihres Zöglings den sozialistischen Korpsgeist von Pionier- und anderen Jugendorganisationen abzuwehren. Es gelang ihnen zwar nicht immer; doch es hinterließ Spuren.
    Der kleine Markus, ein hübscher, aufgeweckter Knabe mit einer ausgeprägten Fantasie, liebte Atlanten und reiste mit seinem Finger in ferne Länder; er zeichnete wieder und wieder Jesus am Kreuz und schrieb darunter die Worte: »Du bist nicht tot.« Dachte er heute jedoch an die Zeit der Pubertät zurück, erinnerte er sich an die Gefühle von Verlust und innerer Leere. Und noch immer war er sich über deren Herkunft nicht klar. Waren es frühkindliche Erfahrungen aus dem Heim, ohne Mutter, ohne Vater?
    Mit 19 Jahren brach er endgültig aus. Nach einer dreitägigen Besetzung der westdeutschen Botschaft in Warschau gelangte Croy kurz vor dem Fall der Berliner Mauer als 18-Jähriger in den Westen. Bei seiner Ankunft fragte ihn ein amerikanischer Geheimdienstoffizier im

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