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Trias

Titel: Trias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Kayser
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Flüchtlingslager Berlin-Marienfelde, wie er sich selber einschätze.
    »Ich kann Ihnen noch nicht sagen, wer ich bin«, hatte er zum Erstaunen des Offiziers lapidar geantwortet.
    Er träumte damals davon, eine gute Idee zu haben und aus ihr etwas Großartiges zu machen. Dabei hoffte er auf einen Mentor, der ihm einen Weg wies. Rastlos reiste er durch Frankreich, besuchte New York, Bangkok und Singapur. Er nahm Gelegenheitsjobs an, schloss oberflächliche Freundschaften, aber brach sie schnell wieder ab.
    Zurück in Deutschland träumte der junge Mann weiter. Als Träumer geht man schnell denen in die Falle, die sich nach nichts mehr sehnen als der Realität. Polizisten sind solche Realisten. Wie nüchtern und real die Welt der Sicherheitsbehörden ist, schmeckte Markus Croy, als er im Jahr 1992 sein vorerst letztes Reiseziel erreichte: München. Er kam ausgerechnet zum G7-Weltwirtschaftsgipfel in die Stadt mit der größten Millionärsdichte, geriet dabei irrtümlich ins Fadenkreuz nervöser Polizeieinheiten, bezog Prügel und landete mit Hunderten Weltwirtschaftsgegnern in einem Polizeikessel, aus dem es kein Entrinnen gab. Stundenlange Verhöre, Durst, Angst und die Ohnmacht gegenüber einer Maschinerie, die keinen Unterschied zwischen Zufall und Absicht kannte, brachten ihn zu einer Erkenntnis: Es gibt keine Gerechtigkeit, die für beide Seiten gilt. Entweder man wird Polizist oder Gegner, dachte er damals. Obwohl er dieses Paradoxon sah, entschied er sich bewusst für die Seite der Exekutive. Er wurde Kommissar. Ein Jäger, der Gerechtigkeit suchte, dabei aber menschlich bleiben wollte.
     
    »Noch einmal na sdrowje , Markus«, sagte Kaltenborn gönnerhaft und verteilte den zweiten Schluck genießerisch mit der Zunge im Mund von links nach rechts. Croy kam in die Gegenwart zurück.
    »Sie sahen so abwesend aus. Woran dachten Sie gerade?«
    »An den lieben Gott«, antwortete Croy frei heraus.
    »Gehen Sie noch immer regelmäßig in die Kirche, Markus?«
    Croy war sich einen Moment lang nicht sicher, ob er diese Frage beantworten oder über sie hinweghören sollte. Kaltenborn hatte sich bislang noch nie im Detail für Croys Privatleben interessiert. Vielleicht lag es einfach nur am Whisky, dachte er etwas spöttisch.
    »Wenn Sie Gottesdienste meinen, eher unregelmäßig. Zur stillen Andacht aber öfter.«
    »Ist es die Hoffnung, die Sie in dieser beschissenen Welt suchen?« Kaltenborn sah nicht so aus, als meinte er diese Frage ironisch.
    »Nein, nicht die Hoffnung, eher die Anstiftung zum Guten.«
    Kaltenborn schluckte. Croy war sich jetzt sicher, zu dick aufgetragen zu haben.
    Doch Kaltenborn lächelte gewinnend und sagte: »Ich gebe zu, meine Auseinandersetzung mit dem Glauben auf dem Altar der Arbeitsroutine geopfert zu haben. Ich gab dadurch mein gutes Verhältnis zu Gott preis, und damit verlor ich auch meinen inneren Frieden.«
    Croy rührte es an, wie offen sein Vorgesetzter zu ihm war. Das war er nicht gewöhnt.
    Er dachte kurz nach und antwortete dann: »Und genau aus diesem Grund verstehe ich meine Arbeit als eine Art Spiegelung meines Glaubens. Wenn die Menschen wirklich die Schafe sind und Gott der gute Hirte, bin ich der, der auf die Schafe achtet.«
    »Ein Kriminalbeamter als guter Hirte?«
    »Wenn Sie so wollen, ja. Um in den Bildern des Alten Testaments zu sprechen: Ich halte Terroristen für Wölfe, die die Schafe auseinandertreiben und sie nach Belieben reißen. Recht und Ordnung zu erhalten heißt, die Schafe können grasen, wo sie wollen. Und damit sie sicher grasen können, passe ich darauf auf, dass die Wölfe sie nicht erreichen.«
    Kaltenborn lehnte sich entspannt zurück, sah zu seinem Kommissar und sagte: »Früher, als man noch regelmäßig in die Kirche ging, wusste man beinahe alles über alle. Wenn jemand Gutes oder Schlechtes tat, kam es schneller ans Licht. Ich will damit sagen: Wir hatten einander in kleinen Einheiten. Die Kirche war wie eine große Familie. Heute ist es schwer, selbst von den Nachbarn noch Persönliches zu erfahren. Wir brauchen Horden an Spionen und Informanten, Polizisten und inoffizielle Mitarbeiter, um den Teufel unter uns zu entdecken.«
    Kurz entschlossen lud Croy seinen Vorgesetzten zu einem Abendmahls-Gottesdienst in der Kölner Antoniterkirche ein. Als Croy noch im rheinischen Brühl Kriminalistik studiert hatte, waren für ihn der dortige Citypfarrer ein Sinnstifter und die ehemalige Bettelmönchs-Kirche ein Ort des Innehaltens gewesen.
    »Ich denke

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