Trias
nicht, selbst verhört zu werden.
»Und?«, fragte Hess mit drohendem Unterton. Er zog erneut das Seil straff. Strachow zuckte vor Schmerz zusammen. Er kannte diese Methoden vor allem von fernöstlichen Geheimdiensten, bei denen die Delinquenten in einem nachtdunklen Raum verhört und, wenn sie nicht schnell genug redeten, körperlich traktiert wurden.
»Prag nehme ich auf meine Kappe«, stöhnte Strachow, »aber dass meine Männer gleich die ganze Injektion …«
Hess riss erneut am Seil.
Strachow schrie auf.
»Sie haben es selbst angeordnet, Strachow!« Hess’ Stimme donnerte durch den Kellerraum. »Soll ich Sie den Chinesen überstellen? Soll ich denen sagen, dass Sie Spread mit Ihrer Unfähigkeit in die Hände gespielt haben?«
Strachow versuchte, sich zu konzentrieren. Er dachte scharf darüber nach, was er antworten sollte. Was Hess gerade mit ihm tat, war für ihn unfassbar. Bislang hatte er sich seinem Chef gegenüber überlegen gefühlt und sich im Stillen lustig gemacht über dessen Wut, zum wiederholten Male bei einer Beförderung in die zentrale Leitung des BND übergangen worden zu sein. Hatte Hess bemerkt, dass er ihn im Grunde mit Geringschätzigkeit bedachte? Dass er, Strachow, seinen fettleibigen Vorgesetzten nicht ernster nahm als eine Fliege auf einem bereits leeren Käseteller?
Er änderte seinen Ton. »Es lief doch sonst alles glatt, Chef«, jammerte er jetzt unterwürfig. »Das BKA wird mit Hilpert bald den Täter haben. Da der seine Anweisungen nicht direkt von uns, sondern über einen tschechischen V-Mann mit Namen Kovarik bekam, tauchen wir bei einem Verhör gar nicht auf. Croy und sein Chef Kaltenborn werden von Hilpert und seinen Kameraden die Geschichte von der Russen-Mafia zu hören bekommen, die sie angeheuert hat. Und Storm wäre nach seinen schmerzhaften Erfahrungen in PiecČany selbst Schuld, wenn er nochmals die Dienste des BKA annähme.« Er zerrte mit den Händen an dem Drahtseil. Es drohte ihm die Luft zu nehmen. Umsonst.
»Alles kalter Kaffee«, wütete Hess. »Man wird Nachforschungen anstellen, man wird bohren und bohren, bis man herausgefunden hat, wer Emma Rumpf getötet hat. Und sie dann noch in den Berliner Landwehrkanal zu versenken, war ja wohl das Dümmste, was Sie tun konnten.«
Der Agent hörte ein raschelndes Geräusch, dann ein Scheppern, als sei eine Blechdose auf dem Steinfußboden aufgeschlagen. Danach Schritte. Das Seil hatte nun keine Spannung mehr. Die Blechtür ging auf und schlug wieder zu. Strachow blieb erschöpft und starr vor Schmerzen auf dem Boden liegen. Nur wenige Augenblicke später flackerten die Leuchtstoffröhren an der Decke wieder auf und verströmten ihr kaltes weißes Licht in den Raum. Der Stuhl, auf dem Hess gesessen hatte, stand abseits von ihm und doch nur wenige Schritte von Strachow entfernt. Das Ende des Drahtseils lag lose auf dem Boden, sein Ledergriff mit der Schlaufe für die Faust war abgewetzt und fleckig.
Strachows Gedanken kreisten nicht nur um Rache. Er hatte den Wunsch, Hess dafür umzubringen, dass er ihn so demütigte.
Die Gelegenheit dazu würde er bald bekommen.
6
Berlin, Bundeskanzleramt, Büro von Lydia Sprado, 28. November, 08:55 Uhr
Seit Tagen fühlte sich die deutsche Regierungschefin wie in einem Hamsterrad, das durch seine heftige Rotation auseinanderzufliegen drohte. Was auch immer sie durchdenken und lösen wollte, wurde durch neue Ereignisse überlagert. Sie war erschöpft und überlastet. Sie saß an ihrem peinlich aufgeräumten Schreibtisch, strich sich fahrig den kurz geschnittenen Pony aus der Stirn und blätterte in ein paar Akten. Ihre braunen Augen wirkten heute so dunkel und stumpf wie eine trockene Kastanie.
Der gewaltsame Tod Emma Rumpfs war intern mit etlichen Fragezeichen versehen, und nichts deutete auf eine schnelle Aufklärung hin. Für Atemlosigkeit sorgte auch die anhaltende Welle der Gewalt durch militante Mitglieder der Splittergewerkschaft ROK. Erst gestern hatten Unbekannte Abgeordnetenbüros in der Nähe des Reichstages angegriffen und Brandsätze hineingeworfen. Der Staatsschutz hatte daraufhin das Regierungsviertel abgeriegelt. Nachts patrouillierten Spezialeinheiten um die Regierungsgebäude.
Sie ahnte, woher die Wut Nahrung bezog: Der Benzinpreis war von einem Tag auf den anderen auf 2,10 Euro gestiegen, und die jüngsten Arbeitsmarktdaten aus Nürnberg klangen verheerend. Obwohl es der Wirtschaft wieder besser ging, verharrte die Quote der Arbeitslosen bei sechs
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