Trias
Millionen Menschen.
Sie war kurz davor, die seit Monaten wütende Splittergewerkschaft Revolutionäre Oppositionelle Kraft als terroristische Vereinigung einzustufen und dem Generalbundesanwalt Ermittlungen zu empfehlen. Der G8-Gipfel stand viel zu dicht vor der Tür, um das Risiko einer Bedrohung aus dem eigenen Land einzugehen.
Hinzu kam, dass die Medien Fragen aufwarfen, die sie von ihrem Pult in der Bundespressekonferenz so einfach nicht beantworten wollte . Auch die BKA-Informationen über Trias hatten sie kalt erwischt. Die neue Mitwisserschaft des Sicherheitsapparates über ein bisher geheimes Projekt erzeugte in ihr diffuse Verlustgefühle: Ihr entglitt die Kontrolle und damit ein Stück Macht.
Bislang waren die Russen und Amerikaner sehr diskret vorgegangen und hatten die gleiche Vorgehensweise von Deutschland erwartet. Jetzt aber drohte, dass noch vor der Unterschrift des Vertrages von der Supermacht China, aber auch von den von Trias ausgeschlossenen EU-Ländern ein Orkan der Gegenwehr ausging. Sie fröstelte. Nachdenklich durchquerte sie ihr Büro und trat vor einen der Büroschränke, in dem sie eine ganze Kollektion an verschiedenfarbigen Strickjacken auf Bügeln hängen hatte. Sie entschied sich für ein Modell in Kaminrot und kehrte an ihren Schreibtisch zurück.
Die spannungsgeladene Mischung aus labiler Sicherheitsund Wirtschaftslage einerseits und die für Deutschland existenziell wichtigen Verhandlungen um die Sicherung von Rohstoffmärkten trieben die Bundeskanzlerin in diesem Augenblick zu einem Entschluss: Sie würde mit den Amerikanern und Russen darüber reden, ob man den billionenschweren Wirtschaftsvertrag nicht vorzeitig unterschreiben sollte. Während sie auf einem Stift kaute, kuschelte sie sich in die wärmende Jacke und zog die Beine ganz dicht an den Stuhl heran. Ihr Gesicht zeigte einen entschlossenen Ausdruck.
Als es an die schwere Eichentür zu ihrem Büro klopfte, reckte sie instinktiv das Kinn. Sie wollte Kampfeswillen zeigen, keine Schwäche. Wie sie sich im Innern fühlte, ging nicht mal ihren Ehemann etwas an.
»Verehrter Herr Kaltenborn, treten Sie ein.« Lydia Sprado gab sich betont herzlich. Sie kam gleich zur Sache, obwohl er noch in der Tür stand.
Kaltenborn sah erstaunt zu ihr hin. »Ich setze mich vielleicht erst einmal, was?«
»Sie dürfen«, sagte sie jovial.
»Danke«, murmelte er. »Ich bin nun ganz Ohr«, fügte er etwas lauter an.
»Schätzen Sie sich glücklich, von Fakten erfahren zu haben, die höchster Geheimhaltung unterliegen.« Sie sah ihn gönnerhaft an.
Kaltenborn blickte böse zurück. »Bei allem Respekt: Halten Sie diese arrogante Tonlage für berechtigt?«
Die Kanzlerin erblasste. »Was erlauben Sie sich …«
Kaltenborn hatte plötzlich Lust, der deutschen Regierungschefin mitten ins Gesicht zu schlagen. Sein Ton blieb aber beherrscht.
»Seien wir doch ehrlich: Während wir mühsam Indiz für Indiz sammeln, führen Sie und Ihre Berater die Ermittlungsbehörden durch Labyrinthe mit geheimnisvollen Kammern. Werten Sie dieses Verhalten bei der explosiven Mischung aus zwei Morden, einer miesen Presse und einer immer aggressiveren öffentlichen Stimmung für einen staatsmännischen Zug?«
Die Kanzlerin blickte kalt. »Nicht jede Information gehört nach draußen. Schon gar nicht, wenn sie noch nicht ausgegoren ist. Von wem haben Sie die Informationen über Trias erhalten?«
Kaltenborn ließ sich nicht beirren. »Vielleicht hätten wir zwei Morde verhindern können? Vielleicht könnten Emma Rumpf und ihr Mann noch leben?«
»Glauben Sie mir, ich bin mindestens so entsetzt wie Sie. Das müssen Sie mir glauben.«
Die alte Leier, dachte Kaltenborn grimmig. In Wirklichkeit tat sie sich selber leid, weil sie mit derartigen Entwicklungen mit Sicherheit nicht gerechnet hatte. Ihr stand offenbar das Wasser bis zum Hals, das sah man ihr an. »Wir haben einen der Attentäter verhört«, sagte er. »Wussten Sie, dass es ein Auftragsmord war? Es könnte gut sein, dass Sie sich mit Trias ein paar Feinde geschaffen haben, oder? Gehe ich recht in der Annahme, dass Stefan Rumpf von dem geplanten Vertragswerk wusste?«
Sprado sah ihn unbewegt an. Ihre Finger waren ineinander verknotet. Im Kanzlergarten patrouillierten derweil schwer bewaffnete Polizeieinheiten.
Schließlich sagte sie: »Er war der Unterhändler auf deutscher Seite.«
Für Kaltenborn bestätigte sich indessen, was er und Croy seit gestern geahnt hatten.
»Wusste der BND davon?«,
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