Trias
annehmen, die beiden müssten sich kennen. Sie haben beinahe das gleiche Alter und sind jeweils als Wirtschaftsspione im Westen gewesen. Grundsätzlich unterscheidet beide, dass sich Storm selbst deaktiviert hat und noch ein bisschen bei der Stasi-eigenen Rentenorganisation ISOR mitmischt, während sich Hilperts Spur nach 1989 verliert.«
»ISOR?«, fragte Croy.
»Heißt Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger und bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR.« Kaltenborn holte tief Luft.
»Auch ein Tarnverein?«
»Nein«, schallte es aus dem Telefon, »unseres Wissens nicht. In dem Verein sind ehemalige Stasi-Mitarbeiter versammelt und streiten mit der Bundesregierung um die Anpassung ihrer Rentenbezüge an das Maß normaler Rentenbezieher. Aber Sie können darauf wetten, dass hier nicht nur über Geld geredet wird …«
Croy nickte in den Hörer. »Wann greift das SEK in Dresden zu?« Er fühlte sich in Prag gerade deplatziert. Eigentlich gehörte er jetzt nach Dresden. Der Zugriff auf Hilpert war eine Kommandosache, die er zu gern selbst geleitet hätte.
»Jetzt. Die Truppen sind in Bewegung. Wenn wir seiner habhaft werden und er gesteht, schließen wir die Akte Rumpf und gehen wieder zur Tagesordnung über.«
»Tagesordnung?« Für Croy klang dieser Begriff in der derzeitigen Situation absurd.
»Für nächste Woche haben sich ein paar Kerle vom Secret Service angesagt, die sich in der Kreisstadt Bad Doberan und den angrenzenden Käffern um Marienstrand wegen des Weltwirtschaftsgipfels umsehen wollen. Sie wissen ja, Croy, dass die uns nicht trauen …« Bevor Kaltenborn damit beginnen konnte, ihm seine Meinung über die Amerikaner mitzuteilen, unterbrach ihn der Sonderermittler schnell.
»Halten Sie mich über den Ausgang der Aktion auf dem Laufenden?«
»Na, sicher. Wiederhören.«
Croy schob das Funktelefon in die Innentasche seines Jacketts. Seine Nerven waren angespannt. Ihm wurde die Waffenkammer zu eng. Vorsichtig nahm er die Blaupausen zur Hand. Seine Hände zitterten.
10
Dresden-Neustadt, Louisenstraße, gleicher Tag, 16:43 Uhr
Der Regen war aus Osten weiter nach Westen gezogen und war in Dresden als Schneegriesel angekommen. Das Wetter hatte den Himmel so stark eingefärbt, dass es bereits ungewöhnlich dunkel war. In der Louisenstraße herrschte eher Ruhe als Betriebsamkeit. Es hätte ein stiller, nasser Abend werden können.
Eine Kolonne von fünf dunkelgrau lackierten Passat-Limousinen bog in dichtem Abstand in ihre Zielstraße ein. Aufgewirbelte Tröpfchen strahlten vor ihren Scheinwerfern wie winzige Diamanten. Die letzten Meter bis zum Hauseingang Nummer 54 fuhren die Autos ohne Licht. Das Führungsfahrzeug vorn und das Sicherungsfahrzeug hinten stellten sich nun jeweils quer zur Straße und machten auf diese Weise eine kurze Strecke von etwa fünfzig Metern zu einer Art Tunnel.
Sie wurden nochmals von zwei Polizeiwagen abgeschirmt, die aus einer Querstraße kamen. Autotüren klappten leise auf. Zehn Männer, bekleidet in dunklen Kampfuniformen, Combat-Stiefeln, schwarzen Gesichtsmasken und anthrazitfarbenen Helmen, sprangen heraus. Dabei hielten sie ihre fünf Kilo schweren G36-Schnellfeuergewehre im Anschlag.
Niemand sagte ein Wort. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Es war nicht der Moment für gebellte Befehle. Unter die martialisch anmutenden Einsatzkräfte hatten sich zwei Männer in Zivil gemischt, die beide schwarze Lederjacken und blaue Jeans trugen. Ihre Waffen sah man nicht, konnte sie aber erahnen: Die Innenholster verursachten kleine, aber sichtbare Ausbuchtungen.
Ihre Anweisungen kamen über Mikrofone, die sie sich an den Kragen gesteckt hatten, und landeten als Nachricht in winzigen Lautsprechern, die den Männern des Einsatzkommandos in den Ohren steckten. Sie beschrieben kurz und präzise, wie die Männer sich verteilen und bis an die Eingangstür des Apartments vorarbeiten und absichern sollten.
Dort angelangt, postierten sich vier der vermummten Kämpfer lautlos jeweils vor und neben der Wohnungstür. Zwei andere sicherten die darunterliegenden Etagen.
Auf ein Zeichen der Fahnder in Zivil zielte der Einsatzleiter der Sicherheitsgruppe mit seinem Gewehr auf das Schloss der Tür und zerstörte es durch drei gezielte Schüsse. Zeitgleich mit dem letzten Schuss trat er mit dem Fuß die Tür ein.
Kaum war der Eingang frei, drangen vier uniformierte Männer vorsichtig in den Flur und weiter in den Raum vor, während zwei
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